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  4. Papst Franziskus: Ein Kommentar über den Papst, der anders war
Don Francesco auf dem Stuhl Petri

Der Papst, der anders war

Er hatte italienische Wurzeln, war aber der erste Papst, der nicht aus Europa kam. Gastautor Simon Spengler würdigt den Seelsorger aus Argentinien, der auch auf dem Thron des Pontifex die Bodenhaftung nie verlor.

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Die Friedenstaube war sein Symbol, Frieden schaffen seine Lebensaufgabe. Papst Franziskus hat bis zum letzten Tag für seine Mission gekämpft.

Die Friedenstaube war sein Symbol, Frieden schaffen seine Lebensaufgabe. Papst Franziskus hat bis zum letzten Tag für seine Mission gekämpft.

©POOL OR/CPP

Wer erinnert sich nicht gern an die Filme über den leutseligen Dorfpfarrer Don Camillo und den ewigen Widersacher und gleichzeitigen Freund Peppone, dem kommunistischen Bürgermeister? Für Jorge Bergoglio, den späteren Papst Franziskus, ist Don Camillo zeitlebens ein Vorbild eines menschennahen Dieners seiner Kirche: humorvoll, fromm, tatkräftig, den leiblichen Genüssen nicht abgeneigt (was die italienische Pasta betrifft), im Ernstfall auch vom heiligen Zorn gepackt, ein herzensguter Mensch und Hirte seiner ihm anvertrauten Herde.

So stellt sich Bergoglio den idealen Priester vor. Und so lebt er auch selbst als Jesuitenpater, Bischof, Kardinal und schliesslich Papst. Noch in seiner vor wenigen Monaten erschienenen Autobiografie «Hoffe» betont Franziskus seine Verbundenheit mit dem italienischen Landpriester. Und er setzt das auch im päpstlichen Alltag durch.

Ich bin einer von euch: Papst Franziskus wollte dem Volk nahe sein und brauchte seine Macht, um Machtmissbrauch zu bekämpfen.

Ich bin einer von euch: Papst Franziskus wollte dem Volk nahe sein und brauchte seine Macht, um Machtmissbrauch zu bekämpfen.

Corbis via Getty Images

Schon beim ersten Auftritt am Abend des 13. März 2013 direkt nach seiner Wahl auf der Benediktionsloggia des Petersdoms begrüsst er die zigtausend Menschen auf dem Petersplatz nicht mit liturgischen Sprüchen, sondern in ihrer Sprache: «Buona sera». Und nach einigen freundlichen Worten wünschte er den Leuten mit seiner zärtlichen Stimme einen guten Appetit fürs Abendessen.

Die für den römischen Pontifex vorgesehenen roten Lederschuhe zieht er nicht an. Die Mercedes-S-Klasse und das Mercedes-Papamobil bleiben fortan in der Garage, ein Fiat Cinquecento reicht für den Papst des Volkes. Die Residenz im Apostolischen Palast bezieht er nie, nutzt sie nur für offizielle Anlässe. Stattdessen wohnt er während seines ganzen dreizehnjährigen Pontifikats im Santa-Marta, dem Gästehaus des Vatikans, in zwei einfachen Räumen. Ein Schlafzimmer, ein Büro. Mehr braucht er nicht. Dem wachhabenden Schweizergardisten vor der Tür stellt er persönlich einen Stuhl hin, damit der arme Kerl nicht den ganzen Tag stehen muss.

Er wollte und musste aufräumen

Auf Reisen trägt er, solange es die Gesundheit erlaubt, seine Unterlagen selbst in einer alten Ledermappe mit sich. Undenkbar bis dahin, schliesslich gibt es dafür am päpstlichen Hof unzählige Lakaien. Nicht mehr bei Franziskus: Etliche höfische Dienerposten werden abgeschafft, sehr zum Verdruss alteingesessener römischer Familien, deren Sprösslinge die Dienste am päpstlichen Hof von Generation zu Generation vererbten und als Bedienstete des Vatikans für die ganze Sippe billig tanken und einkaufen durften. Im gleichen Zug kappt Franziskus auch zahlreiche Ehrentitel für verdiente oder vermeintlich verdiente Kirchenmänner, die immer sehr erfinderisch waren, sich selbst wohlklingende Ehrentitel zu verleihen. Schluss mit dem klerikalen Firlefanz! Priester sollen den Menschen dienen, nicht sich selbst beweihräuchern.

Man mag einwenden, das seien ja alles nur Äusserlichkeiten. Aber dahinter versteckt sich weit mehr. Als Jorge Bergoglio zum Papst gewählt wird, steckt die katholische Kirche in der tiefsten Krise seit der Reformation. Und Bergoglios Auftrag ist es, damit aufzuräumen, woran sein Vorgänger, der schöngeistige Theologieprofessor Benedikt XVI., kläglich gescheitert war. Die Vatikanbank ein Hort von Korruption und Misswirtschaft; mitten im Herz der Kirche ein homoerotischer Sündenpfuhl mit eigenen Bordellen für höchste Würdenträger; Vertuschungsfälle von Missbrauch durch Kleriker rund um den Erdball; Neid, Missgunst, Karrierismus. All das, was man historisch eher den verruchten Renaissancepäpsten nachsagt, ist in der vatikanischen Machtzentrale höchst virulent. Und mitten in diese Schlangengrube wird Jorge Bergoglio gesetzt, um die Natternbrut auszuräuchern. Dazu wird in der Kirche der Ruf nach Reformen immer stärker, vor allem auch nach Gleichberechtigung für Frauen. Scharenweise kehren in westlichen Ländern Menschen und vor allem auch viele Frauen der Kirche den Rücken.

Dass Franziskus seine wichtigen Dokumente in der Mappe keinem Sekretär anvertraute, hat einen klaren Grund: Wem kann er überhaupt vertrauen? Den Privatsekretär seines Vorgängers, Georg Gänswein, schickt er mit seinem Herrn ins Altersheim, nach dessen Tod erst mal ein paar Jahre in deutsche Verbannung, dann als päpstlichen Botschafter ins ferne Baltikum.

Franziskus liess sich nicht steuern

In seiner Agenda lässt er an zwei Wochentagen die Nachmittage frei von Terminen. Nicht mal seine engen Mitarbeiter wissen, was er dann treibt und mit wem er sich trifft. Ein Bergoglio lässt sich von niemandem befehlen, was er zu tun hat, wen er zu empfangen hat und wen nicht.

Das Schlafzimmer (o.) von Papst Franziskus im Gästehaus Santa Marta (u.) im Vatikan.

Das Schlafzimmer (o.) von Papst Franziskus im Gästehaus Santa Marta (u.) im Vatikan.

©ServizioFotograficoOR/CPP

Zu Gänsweins besten Zeiten war er es, der den Zugang zum Papst gewährte oder unterband. Unter Franziskus hat es keinen starken Privatsekretär mehr gegeben. Journalisten interessieren den Papst oft mehr als Politiker oder Kirchenfürsten. Sie empfängt er gern in seiner «Freizeit» zum Austausch und für Interviews. Bisweilen meldet er sich selbst per Telefon: «Hallo, hier spricht Papst Franziskus, ich habe Ihnen etwas zu sagen.» Selbstredend, dass er damit auch die vatikanische Kommunikationsabteilung zur Weissglut treibt, die nicht selten aus den Zeitungen erfährt, was der Papst so denkt.

Zwei Zimmer bewohnte er hier, er wollte einfach leben und ging nur zur Arbeit und für Empfänge in den päpstlichen Palast.

Zwei Zimmer bewohnte er hier, er wollte einfach leben und ging nur zur Arbeit und für Empfänge in den päpstlichen Palast.

©ServizioFotograficoOR/CPP

Und sie erfahren es an dem jährlichen Weihnachtsempfang für Kardinäle und engste Mitarbeitende des Papstes. Als «Verräter» tituliert er Karrieristen im Kirchendienst, prangert Ruhmessucht an, diagnostiziert in der Kurie «spirituellen Alzheimer, Grössenwahn, Scheinheiligkeit und Geschwätzigkeit». Seine bittere Bilanz der ersten Jahre als Papst: «In Rom Reformen zu machen, ist wie die ägyptische Sphinx mit einer Zahnbürste zu putzen.»
Aber Franziskus greift durch. Korrupte Würdenträger stellt er vors Vatikangericht. Missbrauchstäter werden gnadenlos abgestraft, verlieren Purpur und Titel, selbst wenn es berühmte Kardinäle betrifft. Die chilenische Bischofskonferenz drängt er fast in corpore zum Rücktritt ob ihrer zahlreichen Skandale. Seinen obersten Glaubenswächter, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der sich seinem Reformeifer widersetzt, verabschiedet er unehrenhaft in den Ruhestand. Der schiesst bis zuletzt aus dem Offside Giftpfeile gegen den Papst.

Er trat dem Mächtigen auf die Füsse

Ganz seinem Vorbild Don Camillo entsprechend, mischt sich auch Don Francesco in die Politik ein. Und wettert von der Kanzel gegen alles, was der Würde der Menschen widerspricht. Gegen inhumanes Abschotten der westlichen Welt vor Migranten aus dem globalen Süden; gegen den Kapitalismus als «Wirtschaft, die tötet»; gegen Kriegstreiber in Ost und West, Nord und Süd. Das schafft ihm gerade auch in unseren Breitengraden keine Sympathie, fühlt sich doch der «liberale Westen» gehörig auf die Zehen getreten. Vor allem sein Einsatz für Migranten prägt die 13 Jahre Bergoglio-Pontifikat. Schon seine erste Reise unternimmt er auf die Flüchtlingsinsel Lampedusa, las die Messe auf einem Altar, der aus angeschwemmten Bruchstücken havarierter Flüchtlingsboote gezimmert ist. Dieses Eintreten für eine menschliche Flüchtlingspolitik setzt sich fort bis in die Autobiografie. Darin schildert Franziskus auf den ersten 25 Seiten nichts anderes als die Migrationsgeschichte seiner eigenen Familie vom verarmten Piemont ins ferne Argentinien.

Jorge Bergoglio besuchte in Buenos Aires die Schulen und machte den Abschluss als Chemietechniker.

Jorge Bergoglio besuchte in Buenos Aires die Schulen und machte den Abschluss als Chemietechniker.

Getty Images
Die Eltern José und Regina Bergoglio mit den Kindern Alberto, María, Jorge, Óscar und Marta (v. l.).

Die Eltern José und Regina Bergoglio mit den Kindern Alberto, María, Jorge, Óscar und Marta (v. l.).

Gamma-Rapho via Getty Images

Ja, natürlich, auch Franziskus ist kein Übermensch, auch er hat seine Schwächen. Dass er die grundlegende Ungleichheit von Mann und Frau bezüglich kirchlicher Ämter nicht antastet, ist eine davon. Dass er zwar homosexuellen Paaren einen Segen gewährt, aber nur einen kurzen «Segen light» ohne feierliche Zeremonie, ist auch nicht wirklich konsequent.

Immerhin hat er in einem weltweiten synodalen Prozess Reformanliegen diskutieren lassen. Die konkrete Umsetzung lässt auf sich warten. Franziskus hat den Ball den Bischöfen vor Ort zugeschoben, aber da passiert wenig. Zwei Schritte vor, einer zurück. Auch das gehört zum Pontifikat des Papstes, der lieber Don Camillo war und den Staub aus seiner verbeulten Soutane klopfte, nachdem er Peppone mal wieder gründlich aufs Dach gegeben hatte.

Simon Spengler

Gastautor Simon Spengler, 61, ist Theologe und Bereichsleiter Kommunikation der Katholischen Kirche Zürich.

Von Simon Spengler am 26. April 2025 - 06:00 Uhr