Sie ist ein lustiges, unbekümmertes Mädchen: Pippi Langstrumpf, 9. Rot-zopfig, sommersprossig. Als schwedische Romangestalt weltberühmt geworden – unter Kindern genauso wie unter Erwachsenen. Alle lieben sie Pippis Lachen, Pippis Übermut und Pippis Streiche.
Sie ist ein ernster, sorgenvoller Teenager: Greta Thunberg, 16. Aschblonde Zöpfe, blasses Gesicht. Als schwedische Klimaaktivistin in kurzer Zeit weltberühmt geworden wie Pippi. Aber nicht alle lieben Gretas stoischen Blick, Gretas aufrüttelnde Worte und Gretas Kampf fürs Klima.
Pippis Geschichte führte zeitweise die Kinderbuch-Bestsellerlisten an. Greta führt die grösste Jugendbewegung der Menschheit an; sie schreibt Geschichte.
Wer ist das Mädchen, dessen blaugraue Augen mal traurig gucken und anderntags wütend funkeln? Was hat sie, dass sich Machthaber wie Donald Trump, 73, und der brasilianische Präsident Jair Bolsonaro, 64, über sie echauffieren – und Letzterer wütend keift: «Es ist bemerkenswert, die Bedeutung zu sehen, welche die Medien einer Göre wie ihr zuschreiben, einer Göre.»
Greta Thunberg, im Januar 2003 in Stockholm geboren, wächst mit ihrer jüngeren Schwester Beata, 13, in einer Altbauwohnung in der Hauptstadt auf. Eine fast normale schwedische Familie: Volvo vorm Haus, zwei Hunde, Moses und Roxy. Mutter Malena Ernman, 49, eine Opernsängerin, vertritt 2009 ihr Land beim Eurovision Song Contest in Moskau. Vater Svante Thunberg, 50, ist Schauspieler.
In den Sommermonaten pendelt die Familie zwischen den Bühnen Europas: Salzburg, Barcelona, Paris, Berlin. Vater Thunberg ist mit dem Rampenlicht, in dem seine Tochter steht, bereits aus eigenen Kindheitstagen vertraut: Schon Gretas Oma Mona, 83, war eine gefeierte Schauspielerin, ihr Grossvater Fritz-Olof, 94, in Schweden gar eine Schauspiellegende.
Erstmals im Rampenlicht steht Greta im Sommer 2018. Da setzt sie sich an einem Freitag Mitte August im blauen Kapuzenpulli vors schwedische Parlamentsgebäude, in den Händen ein Sperrholzschild, auf das sie «SKOLSTREJK FÖR KLIMATET» gepinselt hat: Schulstreik fürs Klima.
In der Folgewoche das gleiche Bild. Eine 14-Jährige setzt sich dazu. Woche für Woche werden es mehr. Greta wird es zu viel. «Ich konnte mit dieser Aufmerksamkeit nicht umgehen», gesteht sie, flüchtet vor ihrem eigenen Protest, kommt zurück. «Ich dachte mir: Ich kann jetzt nicht einfach aufhören.»
Zigtausend sympathisieren mit Greta Thunberg und organisieren sich unter dem Motto #FridaysForFuture als Bewegung. Rund um den Globus – von Albanien über Mauritius bis nach Simbabwe. Der erste weltweite Klimastreik treibt am 15. März 2019 fast 1,8 Millionen Junge auf die Strasse.
Das kleine schwedische Mädchen mit den Zöpfen spricht letzten Dezember an der Klimakonferenz in Polen, appelliert im Januar am WEF in Davos eindringlich mit den Worten «Das Haus brennt» an die Wirtschafts- und Polit-Elite und liest den am Uno-Klimagipfel in New York versammelten Mächtigen dieser Welt Ende September die Leviten. «Wie könnt ihr es wagen? Ihr habt mir mit euren leeren Worten meine Kindheit gestohlen.»
Greta ist zur Anführerin des Klimaprotests geworden – zur Ikone einer Generation. Dabei ist sie weder die erste noch die einzige junge Klimaaktivistin: Timoci Naulusala von den Fidschi-Inseln hält 2017 als Zwölfjähriger ebenfalls eine Rede bei der Uno-Klimakonferenz. Felix Finkbeiner, heute 22, gründete mit neun Jahren die Aufforstungsinitiative Plant-for-the-Planet. Oder die US-Amerikanerin Kelsey Juliana, 23, die 2015 gemeinsam mit anderen Jugendlichen Klage gegen die damalige US-Regierung und deren Klimapolitik unter Barack Obama einreicht.
Greta will keine Anführerin sein. «Ich bin nur eine Aktivistin, die anderen eine Protestform zeigt», sagt sie. Ihre Reden polarisieren, ihre Auftritte provozieren. Vor allem Erwachsene sehen in der jungen Frau ein Hassobjekt, verunglimpfen Greta als behindert, weil sie das Asperger-Syndrom hat, eine spezielle Form von Autismus.
Greta ist nicht doof. Ganz im Gegenteil. Sie kann sogar – und nicht nur was das Thema Klimaschutz angeht – wie Pippi Langstrumpf singen: «3 mal 3 macht 6, widdewidde – wer wills von mir lernen? – alle, Gross und Klein – trallalala, lad ich zu mir ein.»
Greta-Gegner höhnten immer wieder, die Göre solle lieber lernen, anstatt die Schule zu schwänzen. Ihre Pflichtschulzeit an der Kringlaskolan in Södertälje bei Stockholm hat Greta mit Bravour abgeschlossen. Laut der Zeitung «Dagens Nyheter» erhielt sie in 14 von 17 Fächern ein «A» – das ist in Schweden die Bestnote.
Nicht schlecht für eine Schulschwänzerin. Da könnte sogar Pippi von Greta lernen!