First Lady ist ein Ehrenjob, keine Frage! Und doch will Jill Biden ihre Stelle als Englisch-Professorin am College auch neben ihrer neuen Aufgabe behalten. Setzt sie ihr Vorhaben in die Tat um, wird sie die erste Präsidenten-Gattin, die einer eigenen, bezahlten Arbeit nachgeht – und das passt zu ihr. Denn bodenständig war sie schon als Jugendliche.
Geboren 1951 in Hammonton, New Jersey, wächst Jill Tracy Jacobs zusammen mit vier jüngeren Schwestern auf. Ihr Vater Donald arbeitet in der Finanzbranche, die Familie zieht für seine Karriere mehrmals um. Den grössten Teil ihrer Kindheit verbringt Jill in Willow Grove, Pennsylvania.
Der Familienname Jacobs ist eine englische Version von Giacoppa. Jills Grossvater ist Italiener, bei ihm gibt’s am Wochenende hausgemachte Pasta, Minestra maritata und Braciola. Die Eltern ihrer Mutter haben Wurzeln in England und Schottland und servieren Roast Beef, Kartoffelstock und Kuchen.
Schon mit 15 verdient Jill ihr eigenes Geld als Kellnerin an der Küste New Jerseys. Nach der High School beginnt sie ein Studium in Modemanagement, bricht jedoch ab, weil es ihr nicht gefällt. In dieser Zeit verliebt sie sich in einen Studienfreund, den sie bald heiratet. Aber die Ehe hält nur fünf Jahre.
1972 trifft Jill erstmals auf Joe Biden. Der 29-jährige Demokrat kandidiert damals für den Sitz als Senator von Delaware. Jill kennt Joes Bruder Frank und besucht gemeinsam mit ihm eine Wahlveranstaltung. Dort schüttelt sie Biden die Hand. Im November folgt sein Wahlsieg – und ein schrecklicher Schicksalsschlag. Bei einem Autounfall verunglücken Joes Ehefrau Neilia und die 13 Monate alte Tochter Naomi tödlich. Die Söhne Hunter und Beau überleben schwerverletzt. «Ich hatte an jenem Tag eine Abschlussprüfung», erinnert sich Jill in einem Interview. «Ich hörte die Nachricht im Radio und betete. Es war einfach schrecklich, so tragisch.»
Drei Jahre später. Joe Biden sieht an einer Bushaltestelle das Plakat einer Frau mit tiefblauen Augen. Er erkennt Jill, die damals als Hobby-Model ein Taschengeld verdient. Von seinem Bruder besorgt er sich ihre Nummer. An einem Samstag 1975 klingelt ihr Telefon, Senator Joe Biden ist dran. «Woher hast du diese Nummer?», fragt sie erschrocken. Nach einem kurzen Schwatz verabreden sie sich. Ihr erster Eindruck: «Ich datete sonst Typen in Birkenstöcken, T-Shirts und Jeans. Doch er trug eine Sportjacke und Slipper, und ich dachte, Gott, das wird nie was! Zudem war er neun Jahre älter als ich!» Sie schauen sich im Kino «A Man and a Woman» an – es funkt trotz Style-Kritik. Anders als andere Männer, mit welchen Jill ausging, versucht Joe bei der Verabschiedung nicht, sie zu küssen. «Er schüttelte meine Hand und wünschte mir eine gute Nacht.» Ihrer Mutter erzählt sie am selben Abend: «Ich habe endlich einen Gentleman gefunden.»
Die Liebe ist entfacht, doch Joe hält vier Mal vergebens um ihre Hand an. Jill erklärt später, sie habe wegen der beiden Buben hundert Prozent sicher sein wollen, dass die Beziehung hält. Für eine 25-Jährige sei eine so schwerwiegende Entscheidung «schon sehr viel» gewesen. Beim fünften Anlauf sagt Joe zu ihr: «Das ist das letzte Mal, dass ich dich frage. Es ist mir egal, wann wir heiraten, aber ich will ein Zeichen.» Sie antwortet mit «okay», was ihm genügt. Das Paar heiratet, Jill zieht zu Joes Schwester Valerie, die sich um die Söhne Beau und Hunter kümmert, bis sie bereit sind, mit der neuen Mutter ein neues Familienleben zu beginnen.
Hochschwanger mit Ashley, die 1981 zur Welt kommt, schliesst Jill ihren Master in Erziehungswissenschaft ab. Mit 55 Jahren erlangt sie ihren Doktortitel – unter ihrem Ledignamen Jacobs. Es ist ihr wichtig, auf eigenen Beinen zu stehen, nicht nur die Gattin von Senator Biden zu sein. Die Studenten dürfen sie aber «Dr. B.» nennen. Auch in offiziellen Schriften besteht sie auf den erlangten Titel und lässt sich mit «Dr. Biden» ankündigen.
Aus dem politischen Rampenlicht hält sich Jill so weit wie möglich raus, unterstützt ihren Mann nur dann, wenn sie mit einem Auftritt wirklich etwas bewirken kann. Als ihr Gatte 2008 neben Barack Obama Vizepräsident wird, nimmt sie ihre Verpflichtungen als «Second Lady» zwischen Unterrichtsstunden und abends nach der Arbeit wahr. Oft kommt sie nach Hause, legt sich flach aufs Bett und atmet eine halbe Stunde durch, bevor sie in ein farbenfrohes Kleid und hochhackige Schuhe schlüpft und wichtige Gäste zum Dinner empfängt. Mit Michelle Obama versteht sie sich blendend, die beiden Frauen bilden ein sozial engagiertes, von vielen geliebtes Duo. Die Enkelkinder der Bidens veranstalten mit den beiden Obama-Töchtern hin und wieder Pyjama-Partys. «Als ich sie zum ersten Mal umarmte, spürte ich, dass sie eine authentische Person ist. Sie war herzlich, bodenständig, sehr offen und ehrlich. Ich mochte sie sofort», erinnert sich Michelle Obama an ein frühes Treffen mit Jill Biden.
Zwar habe ihr die Rolle als Second Lady gefallen, schreibt Jill in ihrer Biografie «Where the Light Enters». «Aber in der Rolle als Dr. B. fühlte ich mich immer am meisten zu Hause.» Ihren Job als Professorin am Community College will sie auch als First Lady behalten. «Ich will den Lehrerberuf aufwerten.»
Dass Joe Biden zum dritten Mal im Rennen um das Präsidentschaftsamt stand, hat auch mit ihr zu tun. Jill und andere Familienmitglieder überzeugten ihn, erneut einen Versuch zu wagen. «Jetzt ist es wichtig, dass ich ihn unterstütze», sagt sie sich damals. «Denn ich will Veränderung. Ich will einen neuen Präsidenten.» Sie begleitet ihn an jeden Wahlkampfauftritt, zeigt öffentlich, wie sehr sie hinter ihrem Gatten steht – und markiert so einen Kontrapunkt zu Melania Trump. Die eher unterkühlt wirkende Slowenin steht meist im Hintergrund. Berühmt ist ein Video von einem Staatsbesuch in Israel, auf dem sie Donalds Hand wegschlägt, als er die ihrige halten will. Jill Biden gibt sich stets fröhlich und immer noch verliebt in ihren Mann.
So makellos sich Jill Biden gibt, auch ihr haften Kontroversen an. So nimmt sie ihren Mann in Schutz, der als Vorsitzender des Justizausschusses im Senat 1991 ein umstrittenes Hearing leitete. Die Juristin Anita Hill warf dem angehenden Bundesrichter Clarence Thomas sexuelle Belästigung vor. Joe Biden zeigte Mühe, ihr zu glauben und leitete das Hearing laut Kritikern unfair. Jill sagte 2019 in einem Interview, es sei nun «Zeit, das hinter sich zu lassen». Immerhin habe ihr Mann mit Hill telefoniert. Nur empfand diese das Gespräch nicht als echte Entschuldigung. Feministinnen kritisieren, Jill spiele das Problem herunter. Weiter kommentiert sie den Vorwurf, ihr Mann käme vielen Frauen zu nah, jeweils mit Beschwichtigungen. Er würde es einsehen und sich bessern. Echte Kritik äussert sie nicht.
Sie weiss um den Druck der Medien und der Gesellschaft. «Ich hoffe, sie lassen wenigstens die Kinder in Ruhe», äusserte sie einst ihre Sorge im Wahlkampf. Und trotzdem verspricht sie, als First Lady alles für ihre Nation geben zu wollen. Früher sorgte der Sport für einen Ausgleich. Sie rannte fünf Tage die Woche rund acht Kilometer in zehn Minuten. Heute geht das nicht mehr: «Nacht acht Jahren Herumstehen in Stöckelschuhen, sind meine Fussballen ruiniert.» Als First Lady wird sie mit hohen Hacken leben müssen. Ihre Bodenhaftung wird sie dennoch nicht verlieren.