Joe Biden hat es geschafft. Er sichert sich in den entscheidenen «Swing States» so viele Stimmen, dass ihn der bisherige Amtsinhaber Donald Trump gemäss Prognosen von US-Medien nicht mehr aufholen kann – und wird so der 46. Präsident der USA. Wenn Biden ins Weisse Haus einzieht, folgt ihm auch Kamala Harris, 55, als Vizepräsidentin. Harris wird zur ersten Frau und ersten Schwarzen in diesem Amt.
Schon die Kandidatur der kalifornische Senatorin schrieb Geschichte: Erstens war eine schwarze Frau noch nie «running mate», zweitens wird Biden kaum für eine weitere Amtszeit kandidieren. Dafür ist er schlicht zu alt. Kamala Harris hätte 2024 dann gute Chancen, die erste US-Präsidentin zu werden. Zudem rückt sie nach, sofern Biden während seiner Amtszeit etwas zustossen sollte.
Harris vertritt nicht nur Afroamerikaner, ihr Hintergrund ist multikulturell: Die Mutter, Shyamala Gopalan, kam 1938 in Madras, Indien, zur Welt, im heutigen Chennai. Eigentlich sollte sie einen von ihrer Familie ausgewählten Mann heiraten. Doch als die University of California in Berkeley Gopalan annimmt, schicken die Eltern sie ins Land der unendlichen Möglichkeiten. Auf dem Campus lernt sie den Jamaikaner Donald Harris kennen – und lieben. Sie engagiert sich in der Krebsforschung, er wird Wirtschaftsprofessor der weltweit renommierten Universität in Stanford. 1964 bekommen sie ihre erste Tochter: Kamala, was auf Sanskrit «Lotusblüte» bedeutet. Drei Jahre später folgt Schwesterchen Maya. Als Kamala sieben ist, lassen die Eltern sich scheiden.
Die Kinder besuchen regelmässig die Baptisten-Kirche ihres Vaters. «Wir lernten, uns um die Schwächsten zu kümmern», sagt Kamala Harris. «Und im Chor sang ich davon, wie Glaube und Entschlossenheit uns stets durch schwere Zeiten führen.» Gleichzeitig nimmt die Mutter sie mit in einen Hindutempel, «damit wir sehen, dass jeder Glaube uns lehrt, nach Gerechtigkeit zu streben».
Nach dem tragischen Tod von George Floyd durch Polizeigewalt und den darauffolgenden Anti-Rassismus-Protesten war Joe Bidens Entscheidung für Harris eine taktische. Trump, der sich wenig empathisch gegenüber der Black-Lives-Matter- Bewegung zeigte, konnte keine Mehrheit unter den Afroamerikanern erwarten. Und sein Kalkül scheint nun aufzugehen.
Doch sein Konkurrent Joe Biden hat bezüglich Rassismus selbst einen «Tolggen» im Heft. 1972 wird er 30-jährig Senator des Kleinstaates Delaware. Damals spricht er sich gegen staatliche Massnahmen aus, um die Durchmischung von Weissen und Schwarzen zu fördern. Etwa gegen den Transport von schwarzen Schülerinnen und Schülern in von Weissen dominierte Schulen. Genau von einem solchen Programm profitiert die junge Kamala Harris. In den Vorwahlen der Demokraten wirft sie Biden öffentlich vor, sich in den 70er- und 80er-Jahren prominent gegen genau diese Integrationsmassnahme gestemmt zu haben. Sie scheint es ihm heute verziehen zu haben. Er hofft, dass das schwarze Wählervolk es ihr gleichtut.
«Kamala Harris ist mehr als bereit für den Job an Joe Bidens Seite»
Barack Obama
Harris studiert erst Politik und Wirtschaft, später holt sie ein Jurastudium nach und mausert sich zur Staatsanwältin von Kalifornien – ebenfalls als erste Frau und erste Schwarze. Dort erlangt sie den Ruf als taffe Strafverfolgerin von Pädophilen und intransparenten Tech-Giganten. Nach der US-Immobilienkrise 2008 erreicht sie, dass Banken einen Hilfsfonds für Betroffene mit 20 statt nur 4 Milliarden Dollar ausstatten.
Da knüpft sie den ersten Kontakt zur Familie Biden. Joes ältester Sohn Beau ist ebenfalls als Staatsanwalt tätig, eine Freundschaft entsteht. Diese dürfte Harris bei der jetzigen Nominierung einen Bonus verschafft haben. 2015, im Alter von 46 Jahren, stirbt der Biden-Sohn an einem Hirntumor. Am Sterbebett verspricht sein Vater, dass er nach zwei gescheiterten Kandidaturen nun ein drittes Mal den Einzug ins Weisse Haus versuche.
Die Vollblutpolitikerin hält ihr Privatleben lange von der Öffentlichkeit fern. Ihr werden mehrere Liebschaften nachgesagt, den Schritt zum Altar wagt sie aber nie. Bis eine gute Freundin ein Blind Date mit Douglas Emhoff organisiert. Er ist ein jüdischer Anwalt aus Hollywood und nur sieben Tage älter als Harris. Es funkt, im März 2014 geht er vor ihr mit einem diamantversehenen Platinring auf die Knie, und vier Monate später geben sie sich das Jawort. Harris’ Schwester Maya, ebenfalls eine Juristin, führt die Trauung durch. Mit dabei: Emhoffs Kinder aus erster Ehe, Cole und Ella. Harris, die selber nie ein Kind bekam, versteht sich prächtig mit ihnen. Ihre Stiefmutter nennen die beiden liebevoll «Momala».
Kamala Harris erfährt von vielen Seiten Unterstützung. Ex-Präsident Obama sagt: «Ich kenne Senatorin Harris schon lange. Sie ist mehr als bereit für den Job.» Dem stimmt Obamas ehemalige Wahlkämpferin in der Schweiz, Renée Rousseau, 52, zu. Harris sei zudem fähig, Biden zu ersetzen, sollte dem 77-Jährigen etwas zustossen.
Rousseau freut sich, dass die Senatorin das zukünftige Amerika repräsentiert. «Eine Nation von Erst- und Zweitgenerationskindern von Immigranten, viele aus gemischten Kulturen wie Kamala.» Auch Prominente freuen sich über Bidens Entscheidung. Popsängerin Pink etwa vergoss Freudentränen, wie sie auf Twitter verrät. Und Schmusesänger John Legend freut sich jetzt schon, das «Biden-Harris-Ticket» zu wählen, damit sie Amerika aus der aktuellen «Albtraum-Präsidentschaft» aufwecken.