Der Weg zur Alp Temeley führt erst über die kurvenreiche Strasse von Aigle nach Leysin auf 1260 Meter über Meer. Dann über einen weiteren kleineren, kaum befahrenen Weg, der im Zickzack zwischen den Weiden verläuft und hinaufsteigt. Zu Fuss -benötigt man dafür etwa eine Stunde. Nur die Autos des Alpbetriebs dürfen hier fahren. Oben steht die Alphütte, die sich an einen mit Gras und Tannen bewachsenen Hang schmiegt. Mit ihrem Schindeldach und den dicken Steinmauern, vor denen sich eine beeindruckende Menge an Holzscheiten türmt, bietet sie einen malerischen Anblick.
Genau oberhalb der Hütte befindet sich die Berneuse, der Bergsee und die Tour d’Aï. Wir befinden uns auf einer Höhe von 1705 Metern über Meer. Eine Idylle, die dazu verleitet, sich stundenlang an diesem wunderschönen Fleckchen Erde zu ergötzen, ohne müde zu werden. Doch Alain Cornamusaz bleibt keine Zeit für Träumereien. Er muss seinen Alpkäse Pro Montagna Tour d’Aï herstellen. Es ist acht Uhr morgens, und der riesige Kupferkessel in der Käserei ist mit tausend Litern Milch gefüllt, die tags zuvor am Abend und am Morgen gemolken wurden. Der Käser hat Molke mit Milchsäurebakterien hinzugegeben, um die Milch reifen zu lassen. Dazu kommt noch Lab – natürlicher Extrakt aus Kälbermagen –, dann lässt er die Milch 35 bis 40 Minuten lang gerinnen. Mit seiner Käseharfe, einem Werkzeug, das ein wenig an eine Leier erinnert, schneidet er die geronnene Milch danach von Hand in einem geregelten Takt.
«Mittlerweile verbringe ich hier oben auf der Alp Temeley meine 18. Saison»
Alain Cornamusaz
Faszinierend anzusehen, wie er die schneeweisse Milch im kupferfarbenen Kessel mit präzisen Handgriffen bearbeitet. Dabei entstehen zunächst -kleine Würfel aus geronnener Milch, dann Körner, die so gross wie ein Weizenkorn sind. Diese Masse wird 35 bis 40 Minuten lang auf 57 Grad erhitzt und dabei mit einem mechanischen Propeller umgerührt, damit die geronnene Milch nicht auf den Boden des Kessels sinkt. Während der Zeit, in der die Milch gerinnt, nutzen Alain Cornamusaz und seine Mitarbeitenden die Gelegenheit, um zu frühstücken. Da sie um 4.30 Uhr zum Melken aufgestanden sind, haben alle grossen Hunger. Gemolken wird direkt auf den Weiden, wo die Kühe während der vier Monate, die sie von Anfang Juni bis Ende September auf der Alp verbringen, ständig unter freiem Himmel leben.
Alpkäse entsteht ausschliesslich während der Sommermonate direkt auf der Alp. Bergkäse hingegen wird ganzjährig von den gewerblichen Käsereien in den Dörfern der Bergregionen hergestellt – Winter wie Sommer. Von den rund 400 bei Coop erhältlichen Pro Montagna Produkten werden in der Offentheke bei Coop saisonal und regional rund 200 Alpkäse verkauft. Mit Pro Montagna bietet sich den Bergbauern ein wichtiger Absatzkanal, der ihnen Arbeitsplätze und Einkommen sichert. Daneben geht bei jedem Kauf eines Pro Montagna Produkts ein bestimmter Beitrag als Spende an die Coop Patenschaft für Berggebiete. Das sind pro Jahr rund 1,1 Millionen Franken. Seit der Einführung von Pro Montagna sind bis jetzt über 13 Millionen Franken zusammengekommen, die zu hundert Prozent in die Hilfsprojekte in die Schweizer Bergen fliessen.
Alain Cornamusaz wurde 1965 in eine Bauernfamilie in Trey in der Broye hineingeboren: «Ich habe den Familienbetrieb übernommen, züchte Kühe und baue Rüben, Weizen, Dinkel, Gerste, Kartoffeln und Mais an.» Als im Jahr 2005 die Gemeinde Leysin, die Eigentümerin der Alp Temeley ist, die Bewirtschaftung der Alp ausschrieb, hat sich Alain Cornamusaz beworben: «Mittlerweile verbringe ich dieses Jahr meine achtzehnte Saison hier oben.» Er kümmert sich um die Kühe und stellt zusammen mit seinen Söhnen, Gaëtan (derzeit im Militärdienst) und Francis den Käse her, während sich Céu und Gaëlle um die Buvette kümmern.
Die rund 60 Kühe sind hauptsächlich Montbéliardes aus den Kantonen Waadt, Neuenburg und Freiburg. Sie fressen das Gras auf den Weiden, anfangs auf 1500 Metern, am Ende der Saison auf 2000 Metern über Meer. Nach der kurzen Pause ruft der Käse wieder. Jetzt wird der Käsebruch von der Molke getrennt. Auch hier wirken die Handgriffe althergebracht. Alain Cornamusaz taucht seine Arme in kaltes Wasser und dann in den brodelnden Kessel, um mit einem Stab und einem Tuch den Käsebruch herauszunehmen und in grosse Formen zu geben. Sobald die Formen gefüllt sind, werden sie in eine Presse gestellt, die die restliche Molke aus -ihnen herausquetscht.
Tradition und Technologie
Im Laufe des Tages sind noch weitere Arbeitsschritte erforderlich, darunter das Anbringen einer Kaseinmarke, die das Herstellungs-datum und die offizielle Nummer der Käserei angibt. Am nächsten Tag werden die Laibe aus der Form genommen und 24 Stunden lang in ein Salzbad getaucht. Von da an wird der Käse fast täglich gepflegt, damit sich eine schöne Rinde bildet. Die letzte Reifung findet in -einem Keller statt, den Alain Cornamusaz in Château-d’Oex angemietet hat. Wer den Käse später geniesst, macht sich kaum ein Bild vom Herstellungsprozess – diese Osmose zwischen menschlicher Tätigkeit und Natur, dieses Know-how, das Tradition und Technologie vereint, Hygienekontrollen und Stunden, die mit Holzhacken, Küheversorgen, Zäunesetzen, Melken, Verarbeiten und Pflegen verbracht worden sind. Dessen ist sich niemand bewusst, aber all das macht das eigene Aroma des Alpkäses aus. Jeder Bissen ist eine Reise in die Berge, wo die Luft rein ist und wo in der Ferne die Kuhglocken läuten.