In dieser Familie ist sogar der Hund politisch: Labrador Luna, 4, wirbt mit dem Regenbogentüchlein um den Hals für die Ehe für alle. «Sie war schon bei Mamis Wahlkampf für den Nationalrat dabei», sagt Lisa Vincenz, 25, beim Familienspaziergang am Schwendisee in Wildhaus SG. Die Tochter von FDP-Politikerin Susanne Vincenz-Stauffacher, 54, ist auch ihre persönliche Mitarbeiterin: Die Juristin koordiniert Termine, betreut Social Media und berät sie bei Auftritten. «Lisa ist meine strengste Kritikerin – und wichtige Sparringpartnerin», sagt Vincenz-Stauffacher.
Überhaupt hätten ihre Töchter einen grossen Anteil daran, dass sie, die erst seit zwei Jahren im Nationalrat politisiert, schweizweit bekannt ist und aktuell als Top-Anwärterin für die Nachfolge von FDP-Chefin Petra Gössi gehandelt wird. Lara, 23, kümmert sich neben ihrem Psychologiestudium und dem Cheerleader-Training um den Webauftritt zur Individualbesteuerung, welche ihre Mutter als Präsidentin der FDP-Frauen lanciert hat. «Ich habe meine Töchter als starke, selbstständige Frauen erzogen – dazu gehört, ihnen zu vertrauen.» Für Lara ist klar: «Mami ist mental parat für das Amt der Parteipräsidentin.» Und auch Lisa, die für die Jungfreisinnigen politisiert, findet: «Jetzt braucht es jemanden, der die Partei von innen eint. Mami mit ihren mediatorischen Fähigkeiten wäre da top!»
Doch was meint Vincenz-Stauffacher selbst? «Es spricht viel dagegen und wenig dafür», sagt die Abtwilerin. Sie sei als Präsidentin der FDP-Frauen und mit ihrer Anwaltskanzlei sehr glücklich. «Dennoch kann das wenige, das dafür spricht – die neue Herausforderung, das Vermitteln – plötzlich viel Gewicht erhalten.» Um sich intensiv Gedanken zu machen, ist sie mit ihrer Familie zwei Wochen ins Ferienhaus nach Wildhaus gefahren.
Das Chalet mit Blick auf die Churfirsten haben sie und ihr Mann Reto, 57, vor 15 Jahren mit viel Liebe renovieren lassen. «Und weil wir nur heimische Handwerker beizogen, lernten wir auch gleich das ganze Dorf kennen», sagt sie und lacht. So oft wie möglich verbringt die Familie hier im Toggenburg Zeit. Das Ehepaar liest gern nordische Krimis oder geht biken («mit dem E-Bike, sonst komme ich ihm nicht nach»). Mit den Kindern wird gewandert und gejasst. «Mami gewinnt meistens – unser Grossvater ist Jasskönig!», sagt Lisa.
Susanne Vincenz-Stauffacher ist mit einem Bruder in Abtwil aufgewachsen. Ihr Vater arbeitet als Generalsekretär im St. Galler Bildungsdepartement, ihre Mutter lehrt als Schul-Zahnfee die Kinder Zähne putzen – beide sind Mitglied bei der FDP. «Für mich war es normal, dass die Mutter arbeiten geht.»
Sie selbst gründet als 25-Jährige mit einer Studienkollegin in St. Gallen eine Anwaltskanzlei. «Ich wollte mir jene Fälle aussuchen, hinter denen ich stehen kann», so die Spezialistin für Familienrecht. Drei Jahre später wird sie zum ersten Mal Mutter. «Es gab damals kaum Kitas, und man ging automatisch davon aus, dass ich zu Hause bleibe.» Zum Glück seien ihre Eltern bereit gewesen, die Töchter zwei Tage pro Woche zu betreuen. Sie wiederum habe diese Erfahrung politisiert. «Und weil ich lieber selbst handle, als den Staat einzuschalten, war der Beitritt in die FDP die logische Konsequenz.»
Nach jahrelanger Arbeit im Hintergrund, unter anderem als Vizepräsidentin der St. Galler FDP, wagt sie 2018 den Schritt ins Rampenlicht: Sie rückt auf dem ersten Ersatzplatz in den Kantonsrat nach, 2019 schafft sie die Wahl in den Nationalrat. Dort sitzt sie in der gewichtigen Umweltkommission. Wie Parteichefin Gössi reist sie wochenlang fürs CO2-Gesetz durchs Land. «Das Nein hat mich getroffen», sagt sie. Aber es gebe auch andere wichtige Themen, welche die FDP mitprägen soll. «Bei der Altersvorsorge müssen wir endlich vorwärtsmachen – dazu gehört eine Erhöhung des Frauenrentenalters.»
SP-Kommissionskollegin Nadine Masshardt sagt: «Allen politischen Differenzen zum Trotz erlebe ich Susanne Vincenz-Stauffacher als verlässliche und dossierfeste Politikerin. Wenn sie etwas sagt, hat das Hand und Fuss.»
Ob die FDP-Frau nun kandidiert oder nicht – ihr Mann Reto hält ihr den Rücken frei. «Bisher war mehr ich derjenige, der Risiken einging», sagt der ehemalige Schweiz-Chef von Geberit, der mit 50 bei einem Biotech-Start-up einstieg. «Nun wäre Susanne an der Reihe.» Die beiden sind seit 28 Jahren verheiratet, kennengelernt haben sie sich an einem Spaghettiessen von Studienkollegen. «Meine Frau ist ein wahnsinnig freundlicher Mensch. Und ich bewundere, wie schnell sie Probleme löst.» Ihre Vermittler-Qualitäten setzt die «bürgerliche Feministin», wie sie sich bezeichnet, als Präsidentin der Stiftung Opferhilfe und als Ombudsfrau für Alter und Behinderung ein. Vincenz-Stauffachers Credo: «Eigenverantwortung plus.» –«Jeder muss sich anstrengen. Aber jenen, die aus physischen oder psychischen Gründen nicht können, müssen wir helfen.» Diese Aussage gefällt Lara, die sagt, sie sei schon «etwas linker als das Mami».
Ihre «Herzens-Mandate» für die Parteileitung aufzugeben, würde ihr schwerfallen, sagt Vincenz-Stauffacher bei einer Bratwurst vom Hausgrill. Genauso wie auf einige gemeinsame Nachtessen mit der Familie zu verzichten. «Andererseits verlassen meine Töchter bald das Nest.» Ein Co-Präsidium halte sie für keine gute Idee – viel besser sei, das Vizepräsidium zu stärken. Dennoch: Verbiegen werde sie sich nicht für die Karriere.«Ich bin keine gute Taktiererin. Dafür scheue ich die Auseinandersetzung nicht, wenn ich von etwas überzeugt bin.» Lisa findet diese Authentizität eine der grossen Stärken ihrer Mutter. «Egal, wie sie sich entscheidet: Sie ist mein Vorbild.»