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Der «Liebe» unter den «Bösen»

Schwinger Marcel Bieri: «Ich bin gern Primarlehrer»

Wo er antritt, erringt er heuer einen Kranz. Vor dem Eidgenössischen Jubiläums-Schwingfest in Appenzell erzählt Primarlehrer Marcel Bieri vom Spagat zwischen Sägemehl und Klassenzimmer.

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Marcel Bieri

Marcel Bieri in seinem Schulzimmer in Unterägeri ZG. Er unterrichtet deutsche Grammatik, Natur Mensch Gesellschaft und Sport.

Roger Hofstetter

Die Liste seiner Erfolge im Jahr 2024 ist lang. Sieg am Innerschweizer Schwing- und Älplerfest Menzingen ZG, am Nordwestschweizer Schwingfest in Lausen BL und am Morgarten-Schwinget. Dazu zahlreiche Kranzgewinne, etwa am Zürcher und am Schwyzer Kantonalschwingfest. Marcel Bieri scheint nicht zu stoppen. In Menzingen legt er im Schlussgang gar König Joel Wicki auf den Rücken, in kaum einer Minute.

Jetzt sitzt er entspannt am Esstisch in seinem Wohnzimmer in Edlibach ZG. Er lächelt. «Die Freude über den Sieg am Innerschweizer Schwingfest ist riesig», sagt er. «Dabei war mir aber egal, ob ich im Schlussgang dem Schwingerkönig gegenüberstand oder sonst jemandem.» Ein Triumph in der Heimat ist ihm fast so wichtig wie der Kranzgewinn am Eidgenössischen Schwingfest in Zug 2019. Fast. Der Kranz macht ihn zu einem «Eidgenossen», einem «Bösen». Der Titel «Eidgenosse» ist das Ziel fast aller Schwinger. Er gilt auf Lebzeiten. «Doch es gibt auch eine Kehrseite: Du wirst härter eingeteilt. Ich musste auf einmal dominieren. Mit dieser Rolle hatte ich zu kämpfen.» Hinzu kommen Verletzungen, die den 29-Jährigen in den letzten Jahren ausbremsen. Lange klappt fast nichts mehr. Bis jetzt. «Ich bin gesund, die Lockerheit ist zurück.»

v.l. Marcel Bieri, Aline Sägesser

Freundin Aline Sägesser arbeitet als Bauleiterin in einem Männerberuf. «Inzwischen kenne ich mich beim Schwingen ganz gut aus.»

Roger Hofstetter

Das Saisonhighlight steht unmittelbar bevor: das Eidgenössische Jubiläumsschwingen, das Fest zum 125. Geburtstag des Eidgenössischen Schwingerverbands. Die 120 Besten stehen am 8. September in Appenzell im Sägemehl. So auch Marcel Bieri. Neben dem Rund unterstützt ihn Freundin Aline Sägesser (31). Die Bauleiterin ist seit drei Jahren die Frau an «Mesis» Seite, seit etwas mehr als einem Jahr wohnt das Paar zusammen, in Edlibach in den Zuger Hügeln mit direktem Blick auf den Hof von Bieris Eltern.

Marcel Bieri und Aline Sägesser wurden verkuppelt

Kennengelernt haben die beiden sich während eines Onlinespieleabends in der Coronazeit. «Mein Mitbewohner und seine Freundin wollten mich verkuppeln», erinnert sich Aline lachend. «Ich sagte, was soll ich denn mit einem Schwinger?» Als sie «Mesi» online trifft, überlegt sie es sich anders. «Da dachte ich, okay, vielleicht doch.» Aline muss sich etwas Mut antrinken in ihrer WG, bis sie sich traut, ihm eine Nachricht zu schreiben. Mit der Liebe zu ihrem Freund kommt auch jene fürs Schwingen. «Inzwischen kenne ich mich ganz gut aus.» Aline selbst spielt gern Unihockey, hat sich ihr eigenständiges Leben bewahrt. Ebenso wie ihr Partner.

Marcel Bieri

Er will wieder fleissiger üben: Etwa einmal im Monat holt Marcel Bieri sein Schwyzerörgeli aus dem Koffer.

Roger Hofstetter

Vom Sägemehl ins Schulzimmer

Marcel Bieri ist mit zwei Brüdern auf dem elterlichen Bauernhof aufgewachsen. Doch Landwirtschaft war nie Leidenschaft, gesteht er. Trotz seiner Naturverbundenheit. Nach der Lehre zum Zimmermann besucht er die Pädagogische Hochschule, lässt sich zum Primarlehrer ausbilden.

Heute unterrichtet Bieri eine sechste Klasse in Unterägeri. Neu ist er auch in einem Teilzeitpensum als Berufsschullehrer tätig – und hat die entsprechende Ausbildung in Angriff genommen. «Ich bin gern Primarlehrer», erzählt er. «Ich wollte jedoch auch selbst wieder einmal etwas lernen.» Es gibt wohl kaum einen zweiten Schwinger, der an der Wandtafel steht. Nicht das einzig Überraschende beim ruhigen Riesen. Im Wohnzimmer schnallt er sich sein Schwyzerörgeli um, schmettert ein paar einschlägige Volksmusiktitel. «In meiner Freizeit besuche ich aber auch gern Techno- und Electro- Festivals.» Und seine Gegner im Sägemehl begrüsst der «Böse» stets mit einem freundlichen Lachen.

«Schwingerkönig zu sein, war nie mein Ziel»

Marcel Bieri

Die Schwingerhose an den Nagel hängen war nie ein Thema für den Zuger. Auch nicht, als es eine Zeit lang keine Kränze mehr gab. Umso mehr will er jetzt auftrumpfen. Zuerst will Marcel Bieri in Appenzell seine beste Leistung abrufen. «An diesem Turnier zählt nur der Sieg. Deshalb ist die Einstellung anders, jeder riskiert alles.» Dann möchte er im kommenden Jahr in Glarus wieder einen eidgenössischen Kranz erringen, seinen Status als «Eidgenosse» bestätigen. «Schwingerkönig zu sein, war nie mein Ziel», gibt er sich bescheiden. «Da stehst du ja voll im Fokus.» Auch privat soll es noch das eine oder andere Highlight geben. «Wir hätten schon gern das volle Programm», verrät Freundin Aline. «Mit Hochzeit und Familie. Das ist das Ziel. Einfach noch nicht jetzt.» Erst gehts ohnehin wieder ins Sägemehl. Die Liste der Siege soll um einen länger werden.

Von Nadine Gerber am 31. August 2024 - 06:00 Uhr