Mit lockeren Schritten trifft Anna Pieri Zuercher im Zürcher Kreis Cheib ein. Bevor die 41-Jährige etwas sagt, ist ihr Lachen zu hören. Von der taffen Kommissarin Isabelle Grandjean, die sie als Teil des neuen «Tatort»-Ermittlerduos verkörpert, keine Spur. «Ich bin eine Frohnatur», sagt Pieri Zuercher. «Lachen öffnet alles, bringt mir Frieden.» Ein französischer Akzent färbt ihr Hochdeutsch – dann wechselt die Schauspielerin plötzlich in ein ‹gmögiges Bärndütsch›. «I liäbe Schwyzerdütsch. Das isch mine Papi und Bärndütsch drum i mim Härze.»
Als Tochter eines Berner Städtebauers und einer Architektin und Kunstlehrerin mit italienischen Wurzeln wächst Anna Pieri Zuercher in Biel BE auf. «Wir sprachen Italienisch und Französisch zu Hause, also mein Papi natürlich français fédéral, aber so richtig schlecht.» Sie lacht. «So ist mein Leben. Eine sprachliche Hemmschwelle oder ein Röstigraben existierte bei uns nie – bis heute.» Dennoch, den «Tatort» kannte sie nur entfernt, wusste, dass ihr Vater den Krimi oft schaute. Welches Prestige ihre neue TV-Rolle im deutschen Sprachraum hat, realisierte sie erst durch ihre Schwester, die in München lebt. «Linda flippte aus, schliesslich kennen all ihre Freunde den ‹Tatort›.»
«Eine sprachliche Hemmschwelle oder ein Röstigraben existierte bei uns nie – bis heute.»
Zur Schauspielerei gelangt Anna Pieri Zuercher über einen musikalischen Umweg. Nach dem Gymnasium studiert sie an der Hochschule für Künste in Bern. Die Liebe zur Musik und zum Klavier hat ihr «Nonna Mimmi» vererbt. Diese arbeitete an der Scala di Milano, bevor sie während des Krieges in die Schweiz – erst nach Zürich, dann nach Lugano – zog. «Wegen meiner vielfältigen Herkunft liebe ich Sprachen. Sie sind für mich Musik», sagt Pieri Zuercher. «Aber als junge Frau war es nicht einfach zu wissen, wo meine Wurzeln liegen. Erst durch meine Arbeit kann ich alles vereinen.»
Bereits ein Jahr nach dem Studium realisiert die ausgebildete Pianistin, dass ihr Unterrichten zu wenig kreativ ist. «Da kam mir der Gedanke an die Schauspielerei.» Gedacht, getan – Anfang 20 beginnt sie ihr zweites Studium an der Schauspielschule in Genf und landet am Ensemble Theater der Regionen Biel-Solothurn. Hier sucht man noch jemanden fürs Stück «Schnitt ins Fleisch» von Xavier Durringer. «Da war ich 22. Mein erster Schauspielauftritt war auf Deutsch – und ich war der Engel Gabriel», sie lacht. «Ich liebe es!»
«Mein erster Schauspielauftritt war auf Deutsch – und ich war der Engel Gabriel»
Ob Kosmetikerin im White-Trash-Look in der TV-Serie «Station Horizon», Ophelia im Theaterstück «Hamlet», ein Showgirl im Cabaret «Wild Women Don’t Have the Blues» oder ein Mann im Maskentheater «El Don Juan» – «das Schauspiel ist grenzenlos». Auf der ganzen Welt tritt Pieri Zuercher im Theater auf, geht erst nach Paris, dann nach Saratow, Russland. Später tourt sie mit einem südamerikanischen Regisseur für zwei Jahre durch Europa und Kolumbien. «Die Sprache ist keine Grenze», sagt sie. Und so verwundert es nicht, dass die Westschweizerin auch den Sprung über den Röstigraben ins Deutschschweizer Fernsehen macht. In der RTS-Serie «Double vie», die unter «Doppelleben» diesen Sommer im SRF gelaufen ist, erhält das Publikum einen Vorgeschmack auf die neue «Tatort»-Ermittlerin. Für ihre Darbietung der schwangeren Witwe und ahnungslosen Zweitfrau hat sie 2019 den Schweizer Fernsehfilmpreis bekommen. «Das hat mir bestätigt, dass ich am richtigen Ort bin.»
Privat pflegt die Mutter eines Sohnes weiterhin die Sprachenvielfalt. Mit Salomon, 9, und ihrem Mann Pietro Zuercher, 44, lebt Anna in Lausanne. Weil der Kameramann Deutschschweizer und Tessiner Wurzeln hat, spricht die Familie daheim Italienisch. «Und dann wieder Englisch oder Französisch. Bei uns lebts!» Oft verbringen sie Zeit im Tessin, wo sie ein kleines Rustico im Valle Maggia besitzen. Dort hat Pieri Zuercher einen Garten mit Blumen, Kräutern und Trauben. «Entweder mache ich Konfitüre oder Grappa, aber nur weil ich die Farbe schön finde.» Auch beim Kochen orientiert sie sich an der Couleur. «Ich improvisiere je nach Farbe, die ich noch brauche. Ach, meine Küche ist ein Puff!» Und da ist es einmal mehr, ihr lautes Lachen.