Eis, zwei, drü. Eis, zwei, drü.» Victoria Kälin und Lukas Hämmerli bewegen sich im Takt der Musik. Aus der Box, die an einem Seil von der Decke des Tanzsaals baumelt, erklingt «Tiempo de Vals». «Eis, zwei, drü. Eis, zwei, drü.» Das Paar tanzt einen Wiener Walzer, Hämmerli hält seine Partnerin fest umklammert, die Position ist aufrecht, rhythmisch drehen sie sich im Kreis. «Eis, zwei, drü. Eis, zwei drü.» Die über die Musik gesprochenen Zahlen helfen: Der Takt ist so leichter zu halten. «Ich bin sowieso meist eher im Takt als du», frotzelt Victoria Kälin. «Dafür kann ich dich richtig gut führen», gibt Lukas Hämmerli zurück. Die beiden 23-Jährigen haben vor Kurzem in Turin bei den Special Olympics World Winter Games die Bronzemedaille geholt. Jetzt ist das Tanzsportpaar zurück im Training. In der Tanzschule von Lukas Hämmerlis Mutter Christine Hämmerli (53) in Rüschlikon ZH feilen sie an ihrer Performance.
Lukas Hämmerli und Victoria Kälin trainieren mit zwei weiteren Freunden auch Bowling. Ziel ist die Qualifikation für die Sommerspiele.
Stefan BohrerEin unvergessliches Erlebnis
Die Special Olympics World Games sind die Olympischen Spiele für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. In vier Jahren finden sie in der Schweiz statt. Als nächstes Gastgeberland erhielt die Schweiz ein Kontingent für Sportarten, die neu im Programm sind. Dazu gehört auch der Tanzsport.
Lukas Hämmerli ist ein Strahlemann und ein feiner Beobachter. Sofort kennt er alle Namen des SI-Teams, bietet immer wieder seine Hilfe an beim Transportieren des Equipments. Victoria Kälin wirkt zurückhaltender, scheuer. Doch auch sie strahlt, wenn sie von Turin erzählt. «Es war ein einmaliges Erlebnis. Familie, Freunde, Verwandte waren dabei, haben uns angefeuert und waren stolz auf uns.» Lukas Hämmerli ergänzt: «Wir hatten eine tolle Zeit und nie Streit. Ich habe es sehr genossen, mit Victoria dort zu tanzen.» Sie hätten zudem die Gelegenheit gehabt, die Stadt anzuschauen, eine leckere Pizza zu essen und: «Ich habe etwas gchrömlet», verrät Hämmerli. «Kopfhörer, die habe ich mir schon lange gewünscht, und in Italien waren sie viel günstiger als hier.» Stolz zieht er die schwarze Schachtel mit der Errungenschaft aus der Tasche.
Zwei, die sich mögen. Die Tanzsportler kennen sich seit ihrer gemeinsamen Schulzeit in Wädenswil ZH.
Stefan BohrerLukas Hämmerli bot sich für das Abenteuer Turin an: Er tanzt, seit er vier Jahre alt ist. Es fehlte nur noch eine Partnerin. Diese fand er in seiner ehemaligen Schulkollegin Victoria Kälin. Sie spielte schon lange mit dem Gedanken, das Tanzen richtig zu erlernen. So sagte sie begeistert zu. In elf Monaten übte das Tanzpaar den Wiener Walzer und den Cha-Cha-Cha ein. Immer mit dem Ziel vor Augen, bei den Spielen die beste Leistung abzurufen – und vielleicht für den grossen Coup zu sorgen.
Neue Freundschaften geknüpft
Der Plan geht fast auf: Es reicht für Rang 3. Victoria Kälin und Lukas Hämmerli nehmen jedoch sehr viel mehr mit aus Italien als die Medaille: Erinnerungen, die fürs Leben bleiben. Neue Freundschaften. Vor allem mit den Eiskunstläufern und den Snowboardern hätten sie Kontakte geknüpft. Und ein besonderes Highlight für die Tänzerin: «Es war lässig, mich zu stylen, zu schminken und ein schönes Kleid anzuziehen.» Gemeinsam mit Christine Hämmerli hat sich Victoria Kälin auf die Suche nach dem perfekten Kleid gemacht und es dann im Internet bestellt. «Als es ankam, war sie sofort verliebt», sagt Hämmerli, und beide lachen.
Der Tanzsport ist für die Special-Olympics-Teilnehmer ein intensives Hobby. In den Wochen und Monaten vor dem Anlass haben sie fast jeden Tag trainiert, oft auch jeder allein oder mit der Hilfe von Eltern und Geschwistern. Beide arbeiten Vollzeit, Victoria Kälin als Kunsthandwerkerin, Lukas Hämmerli als Pferdepfleger auf einem Bauernhof. Sie sind ein Tanzpaar, kein Liebespaar, betonen sie. Beide sind im Moment Single, wie sie lachend verraten.
Lukas Hämmerli wurde das Tanzen in die Wiege gelegt. Mama Christine ist Tanzlehrerin und führt eine Tanzschule.
Stefan BohrerDie Sportler sitzen am Esstisch in Lukas’ Zuhause in Rüschlikon. Hier lebt er mit seinen Eltern; die zwei Jahre ältere Schwester Jasmine ist bereits ausgezogen. Lukas malt akribisch ein Mandala aus, sein zweitliebstes Hobby. Victoria unterstützt ihn dabei: «Ich habe ihm auch in Turin beim Ausmalen geholfen. Teamarbeit. Wie beim Tanzen.» Der junge Athlet reitet auch und geht gern ins Kino. Seine Tanzpartnerin liebt es, auf ihrer Blockflöte zu spielen oder Freundinnen zu treffen. Auch mit einem Bowlingteam sind sie wettkampfmässig unterwegs. Und sie haben einen grossen Lebenstraum: «Irgendwann hätte ich gern eine kleine Wohnung, allein oder zusammen mit einer Freundin», erzählt Kälin. Hämmerli stimmt zu. Auf eigenen Beinen zu stehen, steht ganz oben auf ihrer Wunschliste.
Schon im Juni haben sie ihren nächsten Auftritt. In Rapperswil SG werden sie ihr tänzerisches Können bei den Regional Games unter Beweis stellen. Und Ende November steht ein Turnier in München an. Das Fernziel des Tanzpaars sind die National Games 2028 in Chur, wo entschieden wird, wer die Schweiz bei den Heimspielen 2029 vertreten darf. Sie sind sich einig: Da wären sie gern wieder dabei. Deshalb wird fleissig weiter trainiert, immer im Takt: «Eis, zwei, drü. Eis, zwei, drü.»