Nein, seinen Grossvater hat er nicht mehr gekannt. Nicht mal seine Mutter Véronique hat eine Erinnerung an ihn. Sie war erst zwei Jahre alt, als ihr Vater Jo Siffert 1971 beim Formel-1-Rennen in Brands Hatch verunfallte und, eingeklemmt im Fahrzeug, an einer Rauchvergiftung starb. An der Beerdigung in Fribourg nahmen 50 000 Menschen teil.
«Ich lerne jede Woche etwas Neues über meinen Grossvater», sagt heute sein Enkel Grégory de Sybourg (20). «Er ist immer unter uns, und immer wieder kommt jemand, der mir oder meiner Mutter eine Anekdote erzählt.» So lerne er seinen Grossvater stets besser kennen. Egal, wie viele Jahre seit seinem Tod vergangen sind.
Schon zu Lebzeiten Kult: Der Freiburger Jo Siffert verunfallt am 24. Oktober 1971 35-jährig auf dem Kurs von Brands Hatch tödlich.
KeystoneAb Juni dieses Jahres will Grégory nun definitiv in die Fussstapfen von Jo Siffert treten. Dann nämlich hat er seine Lehrabschlussprüfung als Mechatroniker hinter sich, kann sich ganz auf seinen Traum konzentrieren. «Ich gebe mir zwei Jahre – entweder schaffe ich dann den Durchbruch und ein Team engagiert und bezahlt mich, oder aber ich muss mir überlegen, wie es weitergeht.» Sein Manager Benoît Morand ist des Lobes voll über seinen Schützling: «Er arbeitet sehr viel! Sein Umfeld ist gesund, seine Familie unterstützt ihn. Und er hat Talent.» Der Vater von Grégory ist Flugzeug- und Helikopterpilot, die Mutter fuhr – genau wie ihr Vater Jo – selber Rennen und absolvierte mehrmals die Rallye Aïcha des Gazelles in der marokkanischen Wüste.
Vor zwei Jahren hat sich Grégory bei der Meisterschaft Sprint Cup by Funyo eingeschrieben, eine Art Vorbereitung auf die 24-Stunden-Rennen. «Alle Fahrer haben dasselbe Auto», erklärt Grégory. Er gewinnt einmal, schafft es sechsmal aufs Podium und wird zum Hoffnungsfahrer 2022 gekürt.
Helm – damals und heute: Grégory hat wie Grossvater Jo Siffert ein Schweizerkreuz auf dem Helm. «Das erinnert mich an ihn.»
ADRIEN PERRITAZIm Jahr darauf steigt er eine Stufe höher in den Ultimate Cup am Steuer einer Nova NP02. Auch hier schwingt er obenauf, erreicht in sechs Rennen vier Podiumsplätze. BMW wird auf ihn aufmerksam, und so schickt man ihn mit einem 600-PS-Wagen in die DTM GT Masters. «Jetzt kommt es darauf an, wie ich mich schlagen werde», so der Nachwuchsfahrer.
Arbeit, Training, Schlafen
Bis er sich im Juni voll auf seine Karriere konzentrieren kann, wird er weiter ein durchgetaktetes Leben führen: Nach der Arbeit in seinem Lehrbetrieb übt er entweder in einem Simulator oder aber geht kickboxen oder joggen. Daneben lernt er Sprachen. Französisch ist seine Muttersprache, Deutsch kann er dank einem Sprachaufenthalt schon sehr gut, nun nimmt er Englischlektionen. Für die mentale Stärke hat er einen Coach engagiert. Daneben achtet Grégory auf gesunde Ernährung, trinkt nicht, geht nicht in den Ausgang und verkneift sich das Ausschlafen am Sonntagmorgen.
Grégory de Sybourg eifert seinem Grossvater nach.
ADRIEN PERRITAZ«Ich mache alles, damit ich maximale Chancen habe, meinen Traum wahr werden zu lassen.» Das 24-Stunden-Rennen von Le Mans 2026 ist das nächste Ziel. «Das interessiert mich im Moment mehr als die Formel 1.» Doch ausschliessen will Grégory nichts: «Es gibt auch später noch die Möglichkeit, dass ich wechseln kann.»
Grégory wohnt noch bei seinen Eltern in Magnedens FR – hier mit einem Pokal, den er letzte Saison gewonnen hat.
ADRIEN PERRITAZArbeiten muss der junge Mann noch an der Aggressivität, denn er ist eher leise, sehr höflich und freundlich. «Ein guter Pilot ist einer, der total ruhig ist, dann aber am Steuer aggressiv fahren kann. Sitzt man im Boliden, braucht es die Mentalität eines Haifisches», meint er lachend. Denn Grégory will seine eigene Geschichte schreiben.