Die Hitze ist unerträglich. Das Thermometer sprengt die 48-Grad-Marke, und Gerry Hofstetter rennt in der indischen Provinz einer Horde johlender Affen nach. Sie haben es auf seine Beleuchtung abgesehen. Ruckzuck verschanzen sie sich samt Material auf den Bäumen. «Ich dachte, ich spinne», sagt er und lacht schallend. Momente wie diese bleiben unvergessen. «Egal wie akribisch ein Projekt geplant ist, es kann immer etwas Unvorhergesehenes passieren.» Lichtkünstler Gerry Hofstetter (61) hat einige brenzlige Situationen erlebt. So auch 2012 in der Arktis. Sechs Mal war er am Nordpol. Zum 100. Gedenktag liess er die «Titanic» wieder auferstehen, projizierte sie um 23.40 Uhr in Originalgrösse auf einen Eisberg. «Es lief uns kalt den Rücken runter. Sogar der Kapitän, der uns mit dem Boot zu dem Eiskoloss brachte, hatte Tränen in den Augen.» Plötzlich setzte die Ebbe ein.
Die Eisberge begannen zu wanken. Sie drohten die Crew zu zerquetschen. «Weil wir in der Dunkelheit nichts mehr sahen, krachte das Boot frontal in eine Eiswand. Wir kamen mit einem grossen Loch, einem noch grösseren Schrecken und einem blauen Auge davon.» Aus Hofstetter wäre ein fabelhafter Geschichtenerzähler geworden, hätte er nicht früh gespürt, dass in ihm ein furchtloser Abenteurer schlummert. «Mit 18 Jahren schrieb ich mir auf, was ich mit 30 alles gemacht haben will. Das Blatt war schnell voll.»
Heute ist Gerry Hofstetter gut doppelt so alt. Und? Hat er alle seine Ziele erreicht? «Absolut. Ich bin stolz, dass ich der Allgemeinheit mit meiner Kreativität etwas Aussergewöhnliches schenken kann. Die Menschen sollen den Stress hinter den Projektionen nicht sehen – nur die Stille und die Schönheit des Augenblicks. Ich wünsche mir, dass sie sich beim Betrachten der Bilder Gedanken machen, wie wir zusammen achtsam und in Frieden auf diesem wunderbaren Planeten leben können.» Der Getriebene hat die Verletzlichkeit der Erde mit eigenen Augen gesehen: «Es ist mir eine Herzensangelegenheit, auf das fragile Gleichgewicht von Arktis, Antarktis und Regenwald aufmerksam zu machen. Sie sind die Lungen, die uns am Leben erhalten», sagt Hofstetter eindringlich.
Er sieht sich als Botschafter der Natur und der Umwelt. Die Kunst ist für ihn Mittel zum Zweck, um seine Gedanken zu transportieren. Lässt er an den entlegensten Orten ein flüchtiges Kunstwerk erstrahlen (das Material ist 1700 Kilogramm schwer, 52 Kilo trägt er meistens selber), entsteht ein magischer Moment, den es so nie mehr geben wird. «Mein Ziel ist erst dann erreicht, wenn ich das perfekte Foto im Kasten und alles filmisch festgehalten habe.» Dass er dabei auf Wasserski zwischen Eisbergen rumflitzt oder in der Wüste ein Gewitter mit heftigem Sandsturm erlebt, verleiht seinen Expeditionen eine Art James-Bond-Feeling.
Ob Pyramiden von Gizeh, Matterhorn oder Bundeshaus: Hofstetter ist nicht zu bremsen. Wie der berühmte Duracell-Hase rast er durchs Leben. Seine Visionen wirken ansteckend. Aber auch die Einsamkeit tut ihm gut. Während die Mächtigen am WEF in Davos an der Wärme feierten, stand Gerry Hofstetter bei minus 19 Grad in der Kälte und verwandelte Schneehänge bei Dunkelheit in grün leuchtende Reisterrassen. Ohnehin nippt er lieber an einer Teetasse als am Champagnerglas. «Ich war noch nie betrunken oder bekifft. Diese Entscheidung habe ich als Jugendlicher bewusst getroffen. Ich verzichte auf alle Rauschmittel, die meine Wahrnehmung verschleiern. Ich will jede Minute meines Lebens e-r-l-e-b-e-n, also bewusst erfühlen, erspüren, sehen und hören.»
Wer sein Büro in Zumikon ZH betritt, kommt aus dem Staunen kaum heraus. Jeder Winkel ist verstellt mit Souvenirs und Geschenken. «Die wichtigsten Lektionen, die ich gelernt habe, sind Demut und Respekt. Alle Menschen sind gleich, egal ob Könige, Politiker oder Bettler.» Hier brütet er Ideen aus und holt Bewilligungen ein. Zum Beispiel für die Beleuchtung der Eigernordwand, als er im Jahr des Tigers 2022 einen 5,3 Kilometer langen Tiger an den Berg projizierte. Er sollte den Olympioniken in Peking tierische Kräfte verleihen. Sein jüngstes Projekt: die «Light Art Grand Tour USA». 50 Monument aus jedem Bundesstaat stehen auf seiner Liste.
Spannend: Bei allen gibs eine Verbindung zur Schweiz. An der Wand hängt ein Pilotenkombi aus der Zeit, als Hofstetter noch als Helikopterpilot durch die Lüfte schwebte. Er kann die verschiedensten Berufe vorweisen – war Betriebsökonom, Investmentbanker, Marketingprofi, im Nationalkader der Kunstturner, Elitetruppen-Ausbildner im Militär. 3000 Missionen hat der zweifache Vater in 30 Jahren umgesetzt. Manchmal wird er von seinen Töchtern Céline und Sandrine und Partnerin Barbara Fäh begleitet. Sie ist Rektorin einer Hochschule und gewohnt, dass Gerry viele Wochen im Jahr auf Achse ist.
Hofstetter
Weiter gehts in die ArtLounge. Hier befindet sich nicht nur seine kultige Ducati-Motorrad-Sammlung. Er schaut sich mit Gästen im Privatkino, das von 007 und einer Spider-Man-Figur bewacht wird, auch seine eigenen Abenteuerfilme an. «Licht, Farbe, Musik und Liebe – diese Dinge werden auf der ganzen Welt verstanden.» Vor allem das Thema Licht fasziniert ihn. «Es steht für Hoffnung und ist die einzige sichtbare Form von Energie. Scheint die Sonne, geht es uns gleich besser!» Da ist aber auch noch der Mond mit seinen dunklen, mystischen, unergründbaren Seiten. Gerry Hofstetter grinst. Er hat bereits ein Projekt dazu in der Schublade. Man darf gespannt sein, ob es der Lichtzauberer schafft, auch noch das Weltall zu erobern!
Gerry Hofstetters Fotografien sind bis 28. Februar im Efficiency Club in Zürich zu sehen (Voranmeldung Tel. 044 222 25 25).
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