Sommer ist, wenn die glitzernden Schneehänge von den Bildschirmen verschwinden, wenn Jubelszenen im Skidress nackter Haut weichen. Sommer ist, wenn man den besten Skifahrerinnen und Skifahrern in den sozialen Medien dabei zuschauen kann, wie sie im Kraftraum stemmen und schwitzen.
Dann legen die Skifahrer die Grundlagen, damit der Körper unbeschadet durch den langen Winter kommt. Das Krafttraining als Teil des Konditionstrainings ist bei den einen verhasst, von den anderen geliebt, bei Dritten gleich beides in einem. «Nach der Skisaison freue ich mich drauf», sagt Wendy Holdener, 26. «Anfangs ist es toll, und es macht Spass, die Folgen zu sehen. Aber nach eineinhalb Monaten ist man einfach am Limit und mag sich nicht immer wieder quälen.»
Drumherum kommt allerdings niemand in ihrem Beruf. In den Kurven eines Skirennens wirken Kräfte bis zu 3g auf die Fahrerinnen und Fahrer. Und das einbeinig und in einer verdrehten Körper-Position. Dazu kommen allerlei Überraschungen wie Bodenwellen, Spurrillen der vorherigen Fahrer oder Rutscher, die einen aus der Balance bringen. Darauf muss der Körper vorbereitet sein.
Solche Belastungen im Kraftraum überhaupt hinzukriegen, ist gar nicht so einfach. Das geschieht vor allem im Maximalkraft-Trainingsbereich, wo wirklich schwere Lasten bewegt werden. Dabei wird aber nicht zwingend versucht, skispezifische Positionen zu imitieren. Es geht mehr darum, die optimalen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass der Körper das Skitraining aushält und umsetzen kann. Bei tiefen, kontrolliert ausgeführten Kniebeugen zum Beispiel. Dort stemmt Holdener bis zu 80 Kilogramm bei sechs Wiederholungen, und das über mehrere Serien.
Seit Mai ist Jan Seiler für Holdeners Konditions-Trainingspläne verantwortlich. Der frühere Skifahrer und heutige Trainingswissenschaftler ist in Magglingen BE beim Bundesamt für Sport (Baspo) angestellt und hat dazu ein Mandat für Swiss-Ski. Von Holdeners Arbeitsmoral ist der Walliser angetan. «Wenn die Athletin von mir als Trainer mehr fordert, als ich die Athletin durch Trainings fordern kann, merke ich, wie konsequent sie ist.» Für Holdener gilt das beispielhaft. Sie hat verinnerlicht, dass man sich auf jedes Training optimal vorbereiten muss, um aus der Einheit das Maximum herauszuholen – was nicht bei allen so ist.
Der Erfolg gibt ihr recht. Die 26-Jährige ist seit Jahren konstant an der Weltspitze, hat im vergangenen Winter wieder ihre zwei WM-Titel und acht Podestplätze im Weltcup abgeräumt. Auch weil sie sehr gut zu ihrem Körper schaut. Wenn es geht, schläft sie neun Stunden pro Nacht, und zum Trainingsalltag gehört ein Mittagsschlaf. Ansonsten setzt sie in der Regeneration auf Sprudelbäder, Wechselduschen oder Eisbäder und achtet darauf, dass ihre Ernährung die Erholung unterstützt.
Seit sie Profi ist, hat sie mit ihren Trainern von Jahr zu Jahr kleine Änderungen im Krafttraining vorgenommen. Jedem Trend nachzurennen, ist nicht ihre Sache; wenn etwas funktioniert, behält sie es bei, versucht aber, Einzelheiten zu optimieren. In diesem Sommer wurde das Programm auf Grund ihres fortgeschrittenen Trainingsalters etwas umstrukturiert, um neue Reize einzubringen: Also etwas weniger Volumen, dafür versuchte man, die Qualität und Intensität zu steigern.
Holdeners Fahrstil braucht viel Kraft, und mit dem Team arbeitet sie daran, dafür gerüstet zu sein. Den perfekten Körperbau für einzelne Disziplinen gibt es nicht. «Es ist spannend, dass es dafür kein Erfolgsrezept gibt», sagt Holdener, die zwar ein bisschen drauf schielt, wie fit andere Athletinnen so sind, aber darauf nicht zu viel Wert legt. Klein, gross, kräftig, schmal: die Profile der Fahrerinnen und Wege zum Erfolg sind zu unterschiedlich, als dass man einfach etwas kopieren könnte.
Dazu müssen Holdeners Muckis gleich für mehrere Disziplinen gut gerüstet sein. Sie fährt mittlerweile auch erfolgreich Super-G und ist in der Alpinen Kombination zweifache Weltmeisterin. «Eine Technikerin bringt von der Physis her eigentlich gute Voraussetzungen mit, um auch im Speed erfolgreich zu sein», sagt Trainer Seiler. Umgekehrt wäre es schwieriger, also wenn ein eher träger Abfahrtstyp zum Slalom wechseln wollte – doch das gibts kaum.
Holdener hingegen hat einen Körper, der sich sehr gut für mehrere Disziplinen eignet: Zu den Stärken dürfte der angepasste Umgang mit ihren Kräften gehören, ohne zu den explosivkräftigsten Athletinnen zu gehören. Im Skisport ist die technische Komponente aber so dominant, dass die Inhalte des Konditionstrainings nicht so klar definiert oder pauschal erklärt werden können. Sicher ist, dass die Physis aus verletzungspräventiver Sicht und punkto Erholung äusserst wichtig ist.
Die Sportlerin empfindet das genauso. In der Leichtathletik etwa zeigt der austrainierte Körper dem Sportler oft, dass er für Höchstleistungen parat ist. Im Skisport sind die Muskeln hingegen vor allem Grundlage, um auch bei Müdigkeit am Ende des Laufs gegen die hohen Kräfte geschützt zu sein. Das beruhigt den Kopf, ist aber nicht das Entscheidende. «Für mich ist es wichtig, dass ich weiss: Ich habe das gute Skifahren drauf», sagt Holdener. «Wenn ich dieses Gefühl am Tag davor oder beim Einfahren hatte, gibt das ein brutaleres Selbstvertrauen als zu wissen, dass man fit ist und ein Sixpack hat.»
So spürt sie die Belastung eines Renntags auch weniger am Körper. Natürlich ist ein solcher auch anstrengend: Aufwärmen, Besichtigung, aufwärmen, 1. Lauf, aufwärmen, Besichtigung, aufwärmen, 2. Lauf – das zehrt. Aber: «Es ist eher so, dass es im Kopf anstrengend ist: der Druck, der Fokus. Natürlich werden auch die Beine müde, aber das kann der Körper gut wegstecken.»
Während Frühling und Sommer dafür da sind, den Körper so gut aufzubauen, dass man eine Saison lang davon zehren kann, steht während des Winters noch einmal pro Woche ein Krafttraining an, das aber eher erhaltend oder wettkampfvorbereitend als aufbauend ist. Holdener selbst spürt an der Kraft im Rennen nicht, ob es Anfang oder Ende des Winters ist. Es ist eine Stärke von ihr, dass sie auch nach einer langen Saison in den letzten Rennen physisch top ist. Wenn auch nicht mehr ganz so frisch.
Das ist dann, wenn sie sich wieder aufs Krafttraining freut. Die Resultate geniesst, auf den sozialen Medien ihr Sixpack zeigt. «Moll, ich mag meine Muskeln», sagt sie. Als sie jünger war, machte sie sich noch Gedanken, wie ihre muskulösen Beine in einem Rock aussehen. Dann haben diese Beine sie zur Weltmeisterin gemacht. Heute ist sie stolz. «In zehn Jahren trainiere ich nicht mehr so wie heute, also geniesse ich es, so fit zu sein.»