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SRf-Korrespondent in London

Wie ein Berner zum Gentleman wurde

Vom Brexit bis zu den Royals: Als SRF-Korrespondent in Grossbritannien deckt der Emmentaler Michael Gerber ein breites Themenspektrum ab. Wie ihm die verstorbene Queen sein Lampenfieber genommen hat und wo er in London entspannt.

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Mitten im Gewusel. Vor dem Westminster- Palast in London schaltet sich Michael Gerber jeweils für seine Liveschaltungen in die Schweiz zu.

Mitten im Gewusel. Vor dem Westminster- Palast in London schaltet sich Michael Gerber jeweils für seine Liveschaltungen in die Schweiz zu.

Nicolas Righetti

Der olivgrüne Trenchcoat passt perfekt zum Karo-Blazer aus Tweed, die rot-grün gestreifte Krawatte aus Wolle rundet das Outfit ab. Wie Michael Gerber (54) auf dem Mittelstreifen vor dem Westminster-Palast in London steht, flankiert von einem schwarzen Taxi und einem roten Doppelstockbus, geht er glatt als waschechter Brite durch. «Ich mag den elegant-zurückhaltenden Stil der Engländer. Und dass sie selbst in schwierigen Zeiten versuchen, cool zu bleiben. Was ich weiter üben muss, ist der Akzent. Sie sprechen nicht, sie singen!»

Zum britischen Humor passt, dass Michael Gerber seine Stelle als Grossbritannien-Korrespondent beim SRF ausgerechnet an einem 1. April angetreten hat. «No kidding – kein Scherz», sagt der Berner schmunzelnd. Das ist nun bald drei Jahre her. «Die ersten Monate waren intensiv. Für England – aber auch für mich als Journalisten.» Nur drei Wochen nach Gerbers Start feierte Queen Elizabeth II. ihren 96. Geburtstag und ihre 70 Jahre auf dem Thron.

Die Krawatte sitzt. Gerber in seiner Wohnung in Hampstead. Das Viertel im Nordwesten Londons ist beliebt bei Künstlern. Auch Schriftsteller George Orwell lebte hier.

Die Krawatte sitzt. Gerber in seiner Wohnung in Hampstead. Das Viertel im Nordwesten Londons ist beliebt bei Künstlern. Auch Schriftsteller George Orwell lebte hier.

Nicolas Righetti

Das tiefgreifendere Ereignis war allerdings der Tod der Königin am 8. September 2022. «Um alle Sicherheitschecks zu passieren und rechtzeitig für die Trauerfeier vor der Westminster Abbey anzukommen, musste ich um fünf Uhr morgens los und war abends bis 22 Uhr auf Sendung, Das war Adrenalin pur.»

Bis dahin hatte Gerber bei Liveschaltungen stets seine Notizkarten in der einen, das Mikrofon in der anderen Hand. «Die Karten gaben mir Sicherheit, ich kämpfte mit Lampenfieber.» Doch weil es den ganzen Tag in Strömen regnete, musste der TV-Mann die Kärtchen gegen einen Schirm tauschen. «Ich wusste, es ist Zeit für diese Lektion. Dank der Queen kann ich heute frei vor der Kamera reden.»

In Hampstead fühlt sich der Bauernsohn wohl. Im grössten Park Londons geht er regelmässig joggen. «Im Sommer picknicke ich hier mit meinem Partner.»

In Hampstead fühlt sich der Bauernsohn wohl. Im grössten Park Londons geht er regelmässig joggen. «Im Sommer picknicke ich hier mit meinem Partner.»

Nicolas Righetti

Wohnen im ländlichen Quartier

Gerber lebt im Nordwesten von London, fernab von der Hektik des Regierungszentrums. Im idyllischen Hampstead fährt er mit seinem zusammenklappbaren Mikrovelo durch die Pflastersteingässchen zu seinem Lieblingscafé oder zum Brockenhändler seines Vertrauens. «Hier habe ich kürzlich einen wunderbaren hölzernen Spieltisch mit Löwenfüsschen gekauft», erzählt Gerber, während er das Porzellangeschirr in der Auslage unter die Lupe nimmt. Handeln allerdings sei gar nicht sein Ding. «Das übernimmt meistens mein Partner Vincent, der ist da taffer.»

Beiträge für SRF online schreibt Gerber meist im Homeoffice. Seine Wohnung ist ein stilvoller Mix aus secondhand und Designmöbeln.

Beiträge für SRF online schreibt Gerber meist im Homeoffice. Seine Wohnung ist ein stilvoller Mix aus secondhand und Designmöbeln.

Nicolas Righetti

Der Landschaftsplaner hat damals auch vorgeschlagen, nach Hampstead zu ziehen – immerhin gibts hier den grössten Park von London inklusive Wäldern und mehreren Badeseen. «Als Buurebueb schätze ich es sehr, so nah an der Natur zu wohnen», sagt Michael Gerber und nimmt am Holztisch seiner Wohnung einen Schluck Café aus der Emmentaler Keramiktasse. Er zündet die Kerzen an und streift einen warmen Pulli über. «Weil es durch die Fenster zieht, besitze ich zum ersten Mal im Leben Vorhänge.» Gerbers Partner lebt wieder in seiner Heimat Frankreich, sie sehen sich im Schnitt alle zwei Wochen. «Mit dem Brexit wurde es für ihn schwieriger, hier Arbeit zu finden.»

Politikverdrossene Briten

Am 31. Januar ist es fünf Jahre her, dass das Vereinigte Königreich aus der Europäischen Union ausgetreten ist. «Die Schulden sind gross, die Staatskasse ist leer», fasst Gerber den Zustand des Landes zusammen. Zwar versuche der neue sozialdemokratische Premier Keir Starmer, die Wirtschaft wieder anzukurbeln – etwa mit einem staatlichen Energieunternehmen – und das marode Gesundheitssystem in Grossbritannien zu reformieren. «Dennoch ist die Politikverdrossenheit bei der Bevölkerung gross», so Gerber. Das liege auch daran, dass Starmer und seine Gattin teure Geschenke in Form von Kleidung, Fussball- und Konzerttickets angenommen haben. «Und er sich dafür noch lapidar rechtfertigte – ein Desaster!»

Als SRF-Korrespondent liebt Gerber die Vielfalt der Themen. «Zudem kann ich in London mein Hobby pflegen – ich liebe Musicals!»

Als SRF-Korrespondent liebt Gerber die Vielfalt der Themen. «Zudem kann ich in London mein Hobby pflegen – ich liebe Musicals!»

Nicolas Righetti

Wenn Gerber über seine Arbeit spricht, spürt man die Leidenschaft für seinen Beruf. Er erzählt, wie er einen konservativen Politiker konfrontierte, als dieser an einer Pressekonferenz für bilaterale Verträge nach Schweizer Vorbild weibelte. «Ich erinnerte ihn daran, dass die Schweiz in Brüssel als Rosinenpickerin angesehen wird und deshalb Probleme hat.» Gerber schwärmt von einer Begegnung mit einem kauzigen Alienforscher in Schottland. Und erklärt, warum er diesen Sommer bei den Royals ins «Team Kate» wechselte. «Nach ihrer Krankheit liess uns die Prinzessin endlich hinter ihre perfekte Fassade blicken.»

Vom Emmental in die Welt

In Gerbers Kindheit war die grosse Welt weit weg. Er wuchs als zweitjüngstes von acht Kindern auf einem Bauernhof im bernischen Langnau auf. «Ich wusste vor allem eins: Bauer werde ich nicht. Ich konnte ja knapp Kühe von Pferden unterscheiden.» Obwohl er neugierig war und gute Aufsätze schrieb, entschied er sich «ganz praktisch» für den Beruf des Oberstufenlehrers. «Nach einem Burnout eines älteren Kollegen habe ich mich aber neu orientiert.» Parallel zum Unterrichten studierte er Geschichte, Politikwissenschaft und Journalismus, dann fing er als Lokalredaktor bei der «Berner Zeitung» an. 

Im Red Lion Pub kehrt Michael Gerber gern am Feierabend ein. «Bier und gute Gespräche mit meinem britischen Team gehören dazu.»

Im Red Lion Pub kehrt Michael Gerber gern am Feierabend ein. «Bier und gute Gespräche mit meinem britischen Team gehören dazu.»

Nicolas Righetti

Grösser wird Gerbers Welt als Bundeshausredaktor beim Nachrichtenmagazin «Facts», als Reporter bei «10 vor 10» und schliesslich als Korrespondent in Frankreich. «In meiner Zeit in Paris bin ich lockerer geworden», sagt er auf dem Weg zum Feierabendbier im Pub. Das hilft ihm auch in England. «Heute bestelle ich nicht mehr ein halbes Pint, sondern ein ganzes», sagt er augenzwinkernd. Very British eben.

Jessica Pfister
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Von Jessica Pfister vor 17 Stunden