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Kriege, Krisen, Katastrophen

Wie Generalpriorin Annemarie Müller Hoffnung in turbulenten Zeiten findet

Kriege, Krisen, Katastrophen: Es gibt derzeit viele Gründe, um an der Welt zu verzweifeln. Annemarie Müller, Vorsteherin des Klosters von Ilanz, erzählt, warum sie die Hoffnung dennoch nicht verliert – und was das mit Ostern zu tun hat.

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Eine der höchsten Ordensfrauen der Schweiz im Kloster von Ilanz GR. Anne­marie Müller lebt hier mit 65 anderen Schwestern.

Eine der höchsten Ordensfrauen der Schweiz im Kloster von Ilanz GR. Annemarie Müller lebt hier mit 65 anderen Schwestern.

Kurt Reichenbach

Als Annemarie Müller (61) in den 70er-Jahren die Sekundarschule im Kloster in Ilanz GR besuchte, hatte sie nicht vor, Nonne zu werden. Doch der Ort, idyllisch an einem Sonnenhang gelegen, die spannenden Gespräche mit den Schwestern, die modernen Frauen, die sie in ihnen sah – das alles faszinierte die Schülerin damals. Sie wollte Teil der Gemeinschaft von Gleichgesinnten sein und eine sinnvolle Aufgabe im Leben wahrnehmen.

Heute ist Müller – oder Schwester Annemarie, wie sie hier genannt wird – Generalpriorin und damit Vorsteherin des Klosters. Sie ist zudem Präsidentin der VONOS, der Vereinigung der Ordensoberinnen der apostolischen Gemeinschaften in der deutschsprachigen Schweiz und Liechtenstein, also eine der höchsten Ordensfrauen im Land.

Schwester Annemarie, wir führen unser Gespräch kurz vor Ostern. Was bedeutet diese Zeit für Sie?

Vor Ostern begehen wir im Kloster die Fastenzeit, also einige Wochen des bewussten Verzichts. Für uns bedeutet das zum Beispiel, dass wir während des Frühstücks schweigen. Damit bereiten wir uns auf Ostern vor, das höchste Fest im Christentum und ein Fest der Freude und der Hoffnung.

Warum der Freude?

Jesus Christus ist am Karfreitag gestorben, aber an Ostern auferstanden. Wir Christinnen und Christen glauben, dass er uns so erlöst hat: Auch wir dürfen nach dem Tod zu einem neuen, anderen Leben auferstehen. Die Osternacht ist für uns hier im Kloster deshalb etwas ganz Besonderes.

Wie feiern Sie sie?

Wir entzünden Kerzen am Osterfeuer und betreten damit die dunkle Kirche. Die Rückkehr des Lichts ist ein sehr bewegender Moment, an dem immer wieder Menschen von ausserhalb der Gemeinschaft teilnehmen. Nach dem Gottesdienst treffen wir uns in der Cafeteria zum Eiertütsch und zum Austausch.

Die Auferstehung als Hoffnungssymbol – am Ende triumphiert die Dunkelheit nicht.

Weder die Dunkelheit noch der Tod. Ich finde es darum sehr schön, dass wir Ostern im Frühling feiern, wenn die Natur zu neuem Leben erwacht. Das erinnert mich daran, dass wir auch im Alltag immer wieder kleine Momente des Auferstehens und der Freude erleben können.

Gerade ist die Weltlage turbulent, viele Regeln scheinen nicht mehr zu gelten, Kriege dauern an oder flammen neu auf. Was gibt Ihnen in dieser Situation Hoffnung?

Es stimmt – bei allem, was derzeit in der Welt los ist, könnte man die Hoffnung verlieren. Und vielleicht würde es mir auch so gehen, wenn ich meinen Glauben nicht hätte. Gerade für dieses Gespräch hat mir eine Mitschwester ein Zitat von Hermann Hesse mitgegeben, das ich gern vorlesen würde: «Fühle mit allem Leid der Welt, aber richte deine Kräfte nicht dorthin, wo du machtlos bist, sondern zum Nächsten, dem du helfen, den du lieben und erfreuen kannst.»

Wie interpretieren Sie das?

Nehmen wir als Beispiel den Gazastreifen: Das Leid ist kaum zu ertragen. Ich nehme diese Menschen mit in meine Gebete und Fürbitten, aber ich kann die Situation dort nicht zum Guten verändern. Davon darf ich mich nicht entmutigen lassen, sondern ich muss versuchen, im Hier und Jetzt meine Mitmenschen zu sehen und ihnen Gutes zu tun. Ich bin sicher, das zieht auf eine positive Art Kreise.

Im Leitbild Ihrer Gemeinschaft steht, dass sie der Gesellschaft nützlich sein will. Was bedeutet das konkret?

Wir haben mit unserem Gästehaus einen Ort, an dem die Menschen einfach sein können. Sie können sich erholen, eine Auszeit nehmen, Ferien machen oder einen Kurs besuchen. Wir hören oft, dass die Ruhe hier sehr geschätzt wird, ebenso der Blick in die Umgebung und die Begegnungen mit den Schwestern.

«Zu viele negative Nachrichten können einen erdrücken.» Im Klostergarten  geniesst die General­priorin das kleine Glück.

«Zu viele negative Nachrichten können einen erdrücken.» Im Klostergarten geniesst die Generalpriorin das kleine Glück.

Kurt Reichenbach

Sie bieten auch Timeouts an. In was für Situationen sind die Menschen, die das machen?

Manche brauchen eine berufliche Neuorientierung, manche stecken in einer Lebenskrise oder stehen unter einem grossen Leistungsdruck. Manchmal hilft schon die Entschleunigung, um da ein wenig herauszukommen. Wir bieten aber auch geistliche Begleitung an, also Gespräche mit einer Schwester, die zuhört und durch gezielte Fragen neue Perspektiven eröffnen kann.

Haben sich die Probleme der Menschen, die zu Ihnen kommen, in den letzten Jahren verändert?

Ich bin zu wenig nahe dran, um das beurteilen zu können. Was ich aber von den zuständigen Schwestern gehört habe, ist, dass sich in den vergangenen Monaten die Anfragen von Männern gehäuft haben. Das war auffällig.

Ihre Gemeinschaft möchte den Menschen dienen. Gleichzeitig ziehen Sie sich im Kloster ein Stück weit von der Welt zurück. Ein Widerspruch?

Für uns als Dominikanerinnen ist es wichtig, dass wir uns nicht nur mit uns selbst beschäftigen. Wir sind eine apostolisch tätige Gemeinschaft, das heisst, wir versuchen, hinaus in die Welt zu gehen und dort zu wirken. Früher war das noch mehr der Fall, da haben wir unterrichtet und in Spitälern gearbeitet. Heute sind viele meiner Mitschwestern betagt und können das nicht mehr leisten. Mir persönlich und auch vielen anderen Schwestern ist es aber noch immer wichtig, sich zu informieren über das, was in der Welt passiert. Gesellschaftliche Fragen machen an der Klosterpforte nicht halt.

Wie wichtig sind für Sie Ruhe und Rückzug?

Ich lege grossen Wert darauf, dass ich immer wieder zu mir selber finde. Manchmal gibt es Situationen oder Menschen, die mir viel Energie abzapfen. Selbstfürsorge wird da zur Herausforderung.

Wie gehen Sie damit um?

Ich nehme selbst geistliche Begleitung in Anspruch und ein Coaching für Fragen, die mit meinen Führungsaufgaben verbunden sind. Ich finde es wichtig, Hilfe zu holen – man muss nicht immer alles selber können. Und es kommt zwar nicht oft vor, aber wenn es nötig ist, nehme ich mich aus der Struktur des Klosters ein wenig heraus.

Können Sie ein Beispiel geben?

Gerade gestern hatte ich einen strengen Tag mit intensiven persönlichen Gesprächen. Ich habe dann gemerkt, dass ich das Abendgebet ausfallen lassen und mich zuerst ein wenig erholen muss. Wenn ich in diesem Zustand in die Kirche gegangen wäre, hätte ich wahrscheinlich nicht wirklich präsent sein können. In solchen Momenten nehme ich mir die Freiheit, mich zuerst um mich selbst zu kümmern.

Sie haben vorhin Ihre Führungsaufgaben erwähnt. Was sind denn die grössten Herausforderungen für Sie als Generalpriorin?

Die grösste Herausforderung liegt sicher in der Altersstruktur unserer Gemeinschaft: Ich bin mit 61 Jahren die jüngste von 66 Schwestern, der Altersdurchschnitt liegt bei 86, die älteste Schwester wird bald 100. Ein Grossteil der Frauen hier ist pflege- oder zumindest unterstützungsbedürftig. Viele werden uns in den nächsten zehn, fünfzehn Jahren verlassen. Wie können wir unter diesen Umständen die Zukunft gestalten, damit es reicht bis zum Schluss – auch finanziell?

Sie gehen also davon aus, dass es mit der Gemeinschaft zu Ende geht. Ist damit auch Schmerz verbunden?

Früher ja. Ich bin 1989 eingetreten. Als ich Jahre später realisierte, dass ich die Letzte war, die sich unserer Gemeinschaft hier in Ilanz angeschlossen hat, war das für mich eine schmerzliche Erkenntnis. Aber mittlerweile habe ich das hinter mir gelassen und versuche die Situation so anzunehmen, wie sie ist. Ich habe eine Aufgabe – nämlich dafür zu sorgen, dass wir den Schwestern hier einen würdigen Lebensabend bereiten können. Ganz wie Hermann Hesse gesagt hat: im Hier und Jetzt.

Von Vanessa Buff am 20. April 2025 - 18:00 Uhr