Das Sonnenlicht schimmert durch das Glasdach in der Produktionshalle von Kuhn Rikon im zürcherischen Tösstal. Seit 5.30 Uhr läuft hier der Schichtbetrieb. Kochtöpfe aus Stahl fahren zum Löten der Böden übers Fliessband, Mitarbeitende bereiten die Pressmaschinen für das Tiefziehen der Duromatic-Ronden vor, es rattert und zischt. 200'000 Pfannen, Dampfkochtöpfe und anderes Kochgeschirr werden hier jährlich produziert, so viel wie nirgends sonst in der Schweiz. Im Ausland ist die EU mit 25 Prozent der wichtigste Markt für das Familienunternehmen in der vierten Generation – dann kommen die USA mit einem Umsatzanteil von 20 Prozent. «Hier in der Produktion läuft alles normal», sagt CEO Tobias Gerfin (59) und begrüsst die Angestellten im Pullover und per Du.
Weniger entspannt war die Stimmung vor rund 14 Tagen im Dachstock des Hauptsitzes von Kuhn Rikon, wo Gerfin sein Büro mit Ausblick ins Grüne hat. Am 2. April packte Donald Trump seinen Zollhammer aus – und belegte Schweizer Produkte in den USA mit einem Strafzoll von 31 Prozent. «Uns traf der Hammer schon früher, denn seit dem 12. März gelten für Produkte aus der Schweiz 25 Prozent Zoll auf Stahl», sagt der gebürtige Ostschweizer. Kämen tatsächlich noch 31 Prozent dazu, wären die Preise in den USA für die Einzelhändler «schlicht zu hoch». Allerdings hat Trump nun eine Pause von 90 Tagen verfügt – in dieser Zeit will die Schweiz den US-Präsidenten mit einem milliardenschweren Investitionsdeal milde stimmen.
Klöpfeln, ob die Pfanne «höhlelet». Dann wäre sie nicht brauchbar. Viele Mitarbeitende bei Kuhn Rikon stammen aus dem Tibet, der ehemalige Patron Jacques Kuhn gründete 1968 das Tibet-Institut.
Nik Hunger«Don’t worry»
Gerfin, seit rund zwölf Jahren CEO von Kuhn Rikon, dessen Dampfkochtopf weltweit ein Verkaufsschlager ist, hatte schon im Januar eine Vorahnung. «Ich sagte unserem Chef in den USA damals, er solle schon mal Berechnungen anstellen.» Doch der Republikaner, der das zehnköpfige Team der Tochtergesellschaft in Nashville, Tennessee, führt, meinte: «Don’t worry – mach dir keinen Sorgen!» Gerfin hingegen wollte vorbereitet sein. «Schon im Wahlkampf kündigte Donald Trump Zölle von 60 Prozent auf Produkte aus China an.» Im Februar erhöhte Kuhn Rikon vorsorglich die Preise auf alle ihre Produkte in den USA um fünf Prozent – zu Recht, wie sich später herausstellte.
In der Produktion ist eine Mitarbeiterin gerade dabei, die Handgriffe aus Plastik an den Dampfkochtopf zu montieren. Diese Komponenten bezieht Kuhn Rikon aus China. Wegen des weltweiten Preisdrucks, aber auch wegen des Fertigungs-Know-hows produziert Kuhn Rikon zwei Drittel ihres Kochgeschirrs in Werkstätten im Reich der Mitte. Für Produkte aus China, die 90 Prozent ihres Angebots in den USA ausmachen, kumulieren sich die Zölle jetzt auf 45 Prozent für Kochgeschirr und 145 Prozent für Messer und Küchenhelfer.
Jeden zweiten Nachmittag sitzt Gerfin, der im März zuletzt in Nashville war, in seinem Büro im Call mit dem US-Team. «Statt sich dem Verkauf zu widmen, müssen die Mitarbeiter momentan Preise durchrechnen.» Die wichtigste Arbeit dort sei nun, die Einzelhändler zu überzeugen, die Preise nicht direkt an die Kundinnen und Kunden weiterzugeben. «Lassen diese gar nicht mit sich reden, muss ich dann auch mal zum Telefon greifen und den Bösen spielen», sagt Gerfin und schmunzelt. 20 bis 30 Prozent teurer würden die Pfannen aber ohnehin werden.
Das USA-Geschäft aufzugeben, kommt für den Firmenchef nicht infrage. «Man darf nicht vergessen, dass vier bis fünf Stellen in der Schweiz aus der Marge, die wir in den USA machen, finanziert werden», sagt Gerfin. Darum sei es wichtig, dass der US-Markt bestehen bleibe. Während die Preise für die amerikanischen Kunden steigen, bleiben sie in der Schweiz und Europa vorerst gleich. «Als Familienbetrieb denken wir langfristig. Wären wir an der Börse, sähe es anders aus.»
Hier werden die Böden der Pfannen zunächst geschliffen und dann poliert, damit alles schön glänzt. 180 Mitarbeitende sind in Rikon angestellt, davon über 30 in der Produktion. Weltweit sind es 240.
Nik HungerVertrauen in chinesische Werke
Und doch sucht das Unternehmen, dessen ehemaliger Patron und Duromatic-Erfinder Jacques Kuhn 2016 im Alter von 97 Jahren verstorben ist, nach Lösungen. «Es sind ja nun schon einige unserer Produkte aus China auf dem Weg in die USA – wegen der 145 Prozent Zollkosten prüfen wir Zwischenlager in Kanada, um die weiteren Entwicklungen abzuwarten.» Eine andere Strategie sei, Halbfabrikate in anderen Länder als in China fertig zu produzieren. «Das können etwa zwei Klingen sein, die in Vietnam zur Kochschere zusammengebaut werden.» Dann gelte der Zolltarif aus Vietnam.
Eine Mitarbeiterin aus dem Tibet, die kürzlich ihr 35-Jahr-Firmenjubiläum feierte, prüft die Qualität der Pfannenkörper. «Pfannen machen ist keine Raketentechnologie, aber man kann viel falsch machen», sagt Gerfin, der an der ETH Zürich Physik studierte und an der EPFL an Solarzellen arbeitete. Bis zu einer Million investiert Kuhn Rikon jährlich in den Schweizer Standort, trotz Herausforderungen wie dem starken Franken und dem Fachkräftemangel. «Swiss Made ist Teil unserer DNA.»
Die Werke in China besucht Gerfin mindestens einmal im Jahr. «Ich habe in diese ein höheres Vertrauen, als ich es in Werke in Osteuropa hätte», sagt er. Auch deshalb komme es für ihn nicht infrage, die ganze Produktion aus China abzuziehen. Genauso wenig mache es Sinn, alle Produkte in der Schweiz herzustellen. «Zum einen haben wir nicht den Platz. Zum anderen könnten sich dann viele Schweizer Kunden die Produkte nicht mehr leisten.»
Hier werden die Böden der Pfannen zunächst geschliffen und dann poliert, damit alles schön glänzt. Die Produkte werden in 30 Länder verkauft. Besonders gefragt sind sie in Deutschland, Grossbritannien oder Spanien – dort gibts auch Pop-up-Shops
Nik HungerSaisonales Geschäft als Chance
Natürlich steht in Gerfins Büro ein Dampfkochtopf – auch in den USA das bestverkaufte Produkt von Kuhn Rikon. Was die nächsten Monate angeht, gibt sich der zweifache Familienvater, der auch zu Hause fürs Kochen zuständig ist, relativ gelassen. «Uns könnte in die Hände spielen, dass unser Geschäft saisonal ist.» Sprich, die meisten Küchengeräte werden im Winter gekauft – also bevor die harte Zollpolitik greifen konnte. Erst Anfang September steige das Interesse wieder. «Bis dahin kann noch viel passieren.»
Die Schweiz habe in den USA sehr viele und gut bezahlte Jobs geschaffen und müsse sich nicht verstecken, so der CEO. «Die Chancen, dass es zu einem Deal mit Präsident Trump kommt, halte ich für ziemlich realistisch.»