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Komiker Viktor Giacobbo

«Wir sind den Affen sehr ähnlich»

Komiker Viktor Giacobbo geht das Thema Corona langsam auf den Keks. Viel lieber beobachtet er Affen, schaut Netflix oder bestimmt via App Pflanzenarten.

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Viktor Giacobbo im Casinotheater Winterthur

Viktor Giacobbo gehört mit 68 Jahren zur Risikogruppe und erkennt sein Alter zu seinem Schrecken auch im Spiegel.

Mario Heller

Viktor Giacobbo, Sie wollten nicht nur über Corona reden. Weshalb?
Irgendwann geht einem das Thema auf den Keks. Als grosser Medienkonsument mache ich mittlerweile einen Bogen um Titel, wo Corona drin steht. Manchmal will ich echt was anderes lesen.

Sie wissen genug über das Virus?
Naja, es gibt sehr viele Leute, die «alles» wissen. Manche von ihnen missionieren, damit sie andere von ihrem Wissen, also Geheimwissen, überzeugen können. All die Theorien und Verschwörungen sind grotesk und eigentlich lustig, wenn sie nicht ernst gemeint wären.

Wieso glauben die Leute an Verschwörungen?
Sie sind verunsichert, da keiner mit einer Pandemie gerechnet hat. Und wenn sie verunsichert sind, beginnen sie leicht hysterisch darüber nachzudenken und müssen einen Schuldigen finden. Das macht ihre Situation leichter. Irgendwann kommen sie dann auf Bill Gates oder die 5G-Antennen. Wir sollten diese Menschen nicht unterschätzen. Sie sehen seriöse wissenschaftsbasierte Quellen als unwahre diktatorische Instrumente an.

Als VR-Präsident des Casinotheaters und als Künstler sind Sie auch wirtschaftlich betroffen.
Das hört sich dramatischer an, als es ist. Persönlich bin ich gut versorgt. Beim Casinotheater sind wir im selben Boot wie andere KMU, dazu hatten wir das Glück, dass wir versichert sind. Die Mobiliar unterscheidet nicht zwischen Epi- und Pandemie. Sie übernehmen zwar nicht unsere Einnahmeausfälle, aber die durch Corona entstandenen Kosten.

Viktor Giacobbo im Casinotheater Winterthur

Victor Giacobbo fände die Verschwörungstheorien rund um das Coronavirus ja lustig – wenn sie denn nicht ernst gemeint wären.

Mario Heller

Themawechsel: Orang-Utan oder Donald Trump?
Die sind nah beieinander, beide orange. Aber über die Affen rede ich lieber. Denn bei Trump ist es ähnlich wie bei Corona. Ich muss Artikel finden, in denen er nicht vorkommt. Er ist auch nah an den Verschwörungstheoretikern und wissenschaftsfern. Er besteht eigentlich nur aus Ressentiments gegenüber jeglicher Kritik und politischen Gegnern. Da finde ich es schon gespenstisch, wenn Trump-Anhänger aus der Schweiz seine Tweets rechtfertigen.

Sie wollen über Affen reden. Sie besuchten kürzlich jene im Zürich Zoo. Wie geht es denen?
Das war sehr eindrücklich. Die Tiere langweilen sich wirklich – vor allem die Menschenaffen. Sie näherten sich der Trennscheibe, als wir da standen. Wahrscheinlich war das mein engster Kontakt in letzter Zeit. Wir sind den Affen ja sehr ähnlich: Auch die Gorillas haben mit dem Silberrücken gut gekennzeichnet einen alten weissen Mann als Chef, der keine Neuerungen akzeptiert.

Sie sind im Stiftungsrat der Pan-Eco-Stiftung, die sich um Orang-Utans kümmert. Woher kommt die Faszination?
Ich war schon immer ein Tierfan und habe sie gerne beobachtet. Als ich vor knapp zwei Jahren in Sumatra bei unserer Auffang- und Pflegestation zu Besuch war, auf Anregung von Regina Frey, trug ich übrigens zum ersten Mal in meinem Leben eine Schutzmaske. Bei Orang-Utans weiss man noch nicht genau, wie gefährdet sie durch menschliche Viren sind.

Haben Sie Haustiere?
Als ich noch auf dem Land wohnte, hatte ich Katzen. Heute nicht mehr. Aber ich bin weiterhin empfänglich bis süchtig nach Tiervideos. Soeben sah ich, wie ein junger Amerikaner einen verletzten Vogel aufzog. Dieser knuddelt mit der Hauskatze und sie lässt sich von ihm kraulen. Solche Dinge rühren mich.

Was für Gefühle löst die Tatsache aus, dass Sie altersmässig zu den Risikopatienten gehören?
Ein seltsames. Wenn man wie ich immer noch bei gesellschaftlichen Entwicklungen mitgeht, dann fühlt man sich relativ lange jung. Natürlich kenne ich mein Alter und erkenne es zu meinem Schrecken auch im Spiegel. Aber wenn ich klar definiert zur Risikogruppe der Alten gehöre, ist es seltsam.

«Bei Trump ist es ähnlich wie bei Corona. Ich muss Artikel finden, in denen er nicht vorkommt.»

Haben Sie durch die Isolation neue Erkenntnisse über sich gewonnen?
Ich gehöre nicht zu denen, die ein Timeout nehmen, um über sich selbst nachzudenken. Man reflektiert genug in der alltäglichen Praxis, das gibt auch ein klares Bild. Wenn man selber zu viel über sich nachschwurbelt, wird man Verschwörungstheoretiker in eigener Sache - mit Gedanken, die sich gegen das praktische Ich verschwören und umgekehrt.

Sie sagen, dass Ihnen Neugierde wichtiger ist als das Alter.
Ja, sie hat viel Einfluss darauf, ob man sich noch jung oder alt fühlt und auch so wahrgenommen wird. So bin ich zum Beispiel auf eine neue App namens «Picture This» gestossen. Sie kann Pflanzen bestimmen. Seit ich die habe, halte ich beim Biken ab und zu an, um ein Gewächs zu definieren. Durch «Soundhound» habe ich gerade Ezra Furman entdeckt, ein punkiger, gender-flexibler Singer/Songwirter. Der schrieb die Filmmusik für die Netflix-Serie «Sex Education», die ich mir als Binge-Watcher reingezogen habe wie auch «Ozark» oder «After Life» mit Ricky Gervais. Als Kontrast lese ich gerade nach 30 Jahren nochmals Thomas Manns «Zauberberg» ... Mit verlinkter Neugierde führt das eine zum anderen.

Haben Sie weitere Tipps?
Ja, «Der Defekt», ein Debütroman von Leona Stahlmann. Und was mich beeindruckt hat, war die Netflix-Dokumentation «The Vietnam War». Während den Protesten gegen den Krieg war ich um die 20 und nahm an meinen ersten Demos teil. Das war sehr prägend. Als ich nun die Doku angeschaut habe, sah ich nochmals klar, dass wir wirklich einen Grund zum Protest hatten. 18- bis 25-Jährige auf beiden Seiten wurden im Krieg verletzt, getötet, gefoltert und traumatisiert – ausserdem sowohl Amerikaner und Vietnamesen von ihren eigenen Regierungen belogen.

Corona hat Themen wie Krieg in den Schatten gestellt.
Eigentlich alle drängenden Probleme. Corona hat alle Themen, die uns sonst beschäftigt haben, infiziert – aber nicht immunisiert. Sie werden uns so noch lange erhalten bleiben. Wohl länger als das Virus selbst.

Von Aurelia Robles am 2. Juni 2020 - 07:09 Uhr