Vom Mittelland aus ist es eine kleine Weltreise. Der Weg nach Avers zieht sich. Aber er lohnt sich. Die tiefen Schluchten und die hohen Brücken beeindrucken. Cresta ist der zentrale Weiler in Avers. Hier stehen das Gemeindehaus, die Schule, die Kirche und der Volg. Nicht irgendein Volg, sondern der höchstgelegene Volg überhaupt. Auf 1958 Meter über Meer befinden sich 93 Quadratmeter Verkaufsfläche.
Christian Rösli, 39, führt den Dorfladen mit viel Herzblut. Doch schon nach der Begrüssung fällt auf: Der Mann kann kein Einheimischer sein. Der muss aus dem Unterland kommen. «Aus dem Limmattal», präzisiert Rösli. Doch wie kommt denn ein Zürcher in ein so abgelegenes Tal im Bündnerland? «Ich habe hier oben einen entfernten Verwandten. Dem habe ich 2018 beim Heuen geholfen, weil ich gerade auf Stellensuche war», erinnert sich Rösli. Just in diesem Jahr wird die Stelle des Volg-Ladenleiters frei. Nach kurzem Zögern entscheidet sich Rösli, sein ganzes Leben von Zürich ins Averstal zu verlagern. «Das war schon ein grosser Schritt, aber ich bereue ihn nicht.» Fünf Jahre später kennt Christian Rösli praktisch jeden Kunden und jede Kundin beim Vornamen.
Im Winter kommen auch Touristen ins Averstal. Zum Skifahren, Langlaufen oder zum Eisklettern. In der Zwischensaison im Herbst geht es etwas ruhiger zu und her. Langweilig wird es aber nie. Einmal pro Woche fährt ein Lkw mit neuer Ware die kurvenreiche Strasse hoch nach Avers. An den anderen Tagen bringt die Post die frischen Lebensmittel. Die Produkte müssen eingeräumt und für die Kundinnen und Kunden schön hergerichtet werden. Am liebsten ist Christian Rösli aber der Kontakt zu den Menschen.
Ohne Schwatz geht es im Volg in Avers eigentlich nie. Elsi Dettli, die ihre Postkarten im Dorfladen verkauft, kommt mit ihren Enkeln Sophia und Siro vorbei. Die Kids schieben ihren Zmittag im Wägeli herum. Chicken Nuggets. An der Kasse schnappen sie sich einen Schläckstängel. Silvia Jäger, die ihre Lehre vor über 30 Jahren im Volg in Lenzerheide absolviert hat, nimmt sich gerne Zeit für die beiden Knirpse. Kundenbindung fängt eben früh an.
Der Volg in Avers führt alles für den täglichen Bedarf. Wie in allen anderen Läden gibt es auch hier «Feins vom Dorf». Dabei handelt es sich um Spezialitäten, die direkt im Dorf oder im Nachbardorf produziert werden. So drückt der Detailhändler seine tiefe, lokale Verwurzelung aus. Volg arbeitet schweizweit mit über 3000 Produzenten zusammen. Das ist auch in Avers nicht anders. Hier finden Kundinnen und Kunden Käse von der Alp Platta, frische Eier, die feine Nusstorte von Menga Platz oder den süffigen Chümmi-Schnaps, den Mitarbeiterin Silvia Jäger zu Hause auf dem Stubenofen produziert.
Die Gemeinde spielt im Volg Avers eine grosse Rolle. Erst im Frühling wurde der Laden kurzzeitig geschlossen und renoviert. Ohne die Gemeinde – die in Avers-Cresta gerade mal 40 Einwohner zählt – geht es hier oben nicht. Dank finanzieller Unterstützung konnte das Projekt erfolgreich umgesetzt werden. «Wir standen stets in regem Austausch und haben eng mit der Gemeinde zusammengearbeitet», sagt Rösli. Für ihn ist klar: Avers braucht seinen Dorfladen. Und dieser Meinung sind auch die Dorfbewohner.