Als ich kürzlich für einen längeren Aufenthalt in New York City den Koffer packte, verstaute ich zwischen meinen Kleidern vorsichtig ein Schraubglas mit Sauerteig. Wie daheim wollte ich auch in New York mein eigenes Brot backen. Es kam etwas anders: Erst funktionierte der Backofen nicht, dann gab es keine Waage in der Wohnung. Doch wenn ich ganz ehrlich bin, fehlte mir vor allem die Musse. Die Stadt hatte anderes vor mit mir.
Brotbacken braucht Hingabe und Zeit. Vor allem jene Art des Brotbackens, wie sie zurzeit von einer wachsenden Anzahl von Heimbäckern betrieben wird. In den Küchen werden aus Mehl und Wasser Sauerteigkulturen herangezogen. Andere arbeiten nur noch mit wenigen Gramm Hefe. Freunde rennen nach Haus, weil sie ihren Teig ziehen und falten müssen. Auf Instagram halbieren Leute mit viel Gedöns Brote und halten stolz das luftige Innenleben ihrer Werke in die Kamera: #breadporn heisst das dann. Spinnen die alle? Wieso dieser Aufwand, wenn man Brot doch gleich um die Ecke kaufen kann? Die Antwort zur ersten Frage: ja, vielleicht. Zweite Antwort: weil wirklich gutes Brot leider nicht so oft vorkommt wie Bäckereien in der Innenstadt. Vielerorts wird mit eingekauften Backmischungen gearbeitet.
Um Zeit zu sparen, werden die langen Gehzeiten des Teigs mit Zusatzstoffen beschleunigt. Brot ist schon seit Längerem zu einem Industrieprodukt geworden. Darüber kann man sich ärgern – oder selbst zu Mehl, Wasser, Salz und Hefe greifen.
Ein guter Start ist das No-Knead Bread. Das 2006 in der «New York Times» publizierte Rezept hat sich im Netz zu einem Selbstläufer entwickelt. Seine Essenz: wenig Trockenhefe, kein Kneten (no knead), viel Zeit und ein feuerfester gedeckter Topf. Öffnet man zum ersten Mal nach Ende der Backzeit den Topf, wirkt das wie eine Droge. Man will mehr! Und ist überwältigt ob dem knusprigen Brot.
Möglicherweise war es das schon – und man bleibt glücklich beim No-Knead Bread. Vielleicht lechzt das Ego aber auch nach Grösserem. Zur Natur des Heimbäckers gehört der Ehrgeiz wie das Salz zum Brot. «Mehr» bedeutet in diesem Fall meist das Backen mit Sauerteig. Oder das perfekte Formen eines Baguettes. Das Herstellen von Croissants, die so schmecken wie in den Frankreich-Ferien.
So einfach wie mit dem No-Knead Bread wird das nicht mehr gehen. Der Ärger wird kommen, versprochen. Ein misslungenes Irgendwas aus dem Ofen zu ziehen, frustriert gewaltig. Doch dies soll niemanden abhalten. Das nächste gelungene Brot riecht dafür umso besser. Backen ist eine perfekte Übung in Achtsamkeit – es fühlt sich so gut an, die Finger in einen klebrigen Teig zu stecken. Darum wird mein Sauerteig auch nach seinem Ausflug in die USA wieder aktiviert. Mit viel Geduld.
Claudio Del Principe
«Für meinen Foodblog Anonyme Köche wollte ich vor zehn Jahren herausfinden, wieso das Brot in meinem italienischen Heimat-dorf so aromatisch schmeckt. Pinocchio, wie der Dorfbäcker von allen genannt wird, führte mich durch die Räume und wies auf ein Glas mit Lievito Madre: ‹Dieser hat mein Vater aus einer überreifen Birne, Wasser und Mehl vor über fünfzig Jahren angesetzt.› ‹Der was?›, frage ich. Von Lievito Madre – Weizensauerteig – hatte ich noch nie etwas gehört. Für mich tat sich ein neues Universum auf! Aber es dauerte noch Jahre, bis ich mir zutraute, selbst einen Sauerteig anzusetzen und damit zu backen. Anfangs zog ich Exemplare so flach wie Asbestplatten aus dem Ofen. Es verging sicher ein Jahr, bis das Brot so aussah und schmeckte, wie ich mir das vorgestellt hatte.
«Brot backen ist für mich eine sinnliche Angelegenheit, ich mache alles mit den Händen, wäge nicht aufs Gramm genau.»
Anfangs muss man sich die Fertigkeiten fürs Backen erst aneignen und ein Gefühl für den Teig bekommen. Dazu ist es wichtig, dass Temperaturen und Gehzeiten stimmen. Ich lass dem Teig viel Zeit, arbeite aber intuitiv. Backen ist für mich eine sinnliche Angelegenheit. Ein Rührgerät brauche ich nicht, ich mache alles mit den Händen. Auch beim Wägen nehme ich es nicht aufs Gramm genau. Unsere Grossmütter kamen auch ohne Digitalwaage aus. Mein Appell an alle Hobbybäcker: Entspannt euch, gebt die Kontrolle ab, und lasst die Mikroorganismen im Teig arbeiten!»
Katharina Arrigoni
«Mit dreiundvierzig befand ich mich in einer schwierigen Lebensphase, hatte gerade keinen Job mehr und begann aus einer Laune heraus mit Brotbacken. Der Umgang mit dem Teig wirkte wie eine Meditation und erdete mich. Ich inszenierte meine Brote und stellte die Bilder auf meinen Blog. Die Reaktionen waren überwältigend, mit Brot kann man so viele Menschen erreichen.
«Der Umgang mit dem Teig wirkt wie eine Meditation und erdet mich.»
Ich arbeite exakt und messe alles: die Temperatur des Teigs, des Raums, des Ofens. Der Teig erfordert viel Hingabe, Zuversicht und Mut. Man muss ihn spüren. Er ist immer der Chef. Für ein gutes Brot müssen die richtigen Bedingungen und das richtige Timing geschaffen werden. Ich backe mit Hefe oder Sauerteig. Nie beides zusammen!
Sauerteigkultur
Hefe verwende ich ganz sparsam, dafür bekommt der Teig viel Zeit. Angefangen habe ich mit einem Weizenbrot mit Hefe und beschäftigte mich dann intensiv mit Sauerteigkulturen. Eineinhalb Jahre lang backte ich täglich ein Sauerteigbrot. Bis ich zufrieden war. Man muss probieren, probieren, probieren. Doch der Aufwand wird belohnt.
Der Moment, wenn die Leute in meinen Kursen ihre Brote aus dem Ofen ziehen, ist immer emotional. Da stehen Manager – von ihren Frauen zum Kurs angemeldet – völlig ergriffen da.»
Magnus Zwyssig
«Brotbacken hat für mich etwas Magisches. Wie aus den Zu-taten Mehl, Wasser und Salz und viel Zeit ein Lebensmittel entsteht, fasziniert mich immer wieder von Neuem. Wenn ich am Samstag ein Brot backen will, beginne ich am Mittwoch- oder Donnerstagabend. In meinem Kühlschrank stehen zwei Sorten Weizen- und ein Roggensauerteig in Einmachgläsern. Je nach Rezept nehme ich einen davon aus dem Kühlschrank und füttere ihn mit Mehl und Wasser, um die Mikroorganismen zu aktivieren. Damit ein luftiges, aromatisches Brot entsteht, muss sich der Teig langsam entwickeln können. Das dauert viele Stunden, wirklich aktiv bin ich währenddessen aber nur immer wieder kurz: Ich mische die Zutaten, ziehe und falte den Teig, forme das Brot.
«Wie aus Mehl, Wasser, Salz und viel Zeit ein Lebensmittel entsteht, fasziniert mich immer wieder.»
Das sind alles sinnliche Tätigkeiten, man muss riechen, schmecken, tasten, fühlen. Der lange Prozess wirkt zudem entschleunigend und fördert Achtsamkeit. Obwohl ich immer gleich vorgehe, schmeckt mein Brot jedes Mal leicht unterschiedlich.
Sauerteigbrot
Das Wetter hat einen Einfluss, die Temperatur – und natürlich ich als Bäcker. Ich fühle mich ja nicht jeden Tag gleich. Aus meiner Kindheit habe ich eine starke Erinnerung an das Luzerner Sauerteigbrot unseres Dorfbäckers. Bis jetzt habe ich diesen Geschmack noch nie erreicht. Wenn ich ehrlich bin, möchte ich auch gar nicht an den Punkt kommen, an dem mein Brot perfekt ist.»
BÜCHER
Grundlagen Katharina Arrigoni empfiehlt Anfängern die Bücher des Franzosen Richard Bertinet. Zum Beispiel «Backwerkstatt», bei Dorling Kindersley. In ihrem eigenen Buch «Schweizer Brot» erklärt sie, wie man ursprüngliche Brote mit wenig Hefe und langen Gärzeiten herstellt. Zur-zeit arbeitet Arrigoni an einem neuen Buch, das im Herbst wieder im Verlag Schweizer Landliebe erscheinen wird.
BROTBACKKURSE
Backschule Mühlerama Die Backstube im Mühlerama Tiefenbrunnen in Zürich bietet ein stimmungsvolles Ambiente. Es unterrichten erfahrene Heimbäcker, darunter auch Claudio Del Principe und Magnus Zwyssig. Die Kurse sind begehrt und vielfältig: Vom Basiskurs für Sauerteig bis zum Herstellen von Croissants ist alles dabei. www.muehlerama.ch
AUSRÜSTUNG
Was braucht man? Magnus Zwyssig schwört auf einen Gusseisentopf, um das Brot zu backen. Katharina Arrigoni kann nicht ohne Teigkarten arbeiten, Claudio Del Principe plädiert für hochwertiges Mehl aus der Schweiz. Zu Beginn reichen Schüsseln, Messbecher und Küchenwaage aus, ein Gusseisentopf empfiehlt sich sehr und führt schnell zu knusprigem Brot.