Der Telefonanruf ist nur kurz. «Ja, kommen Sie einfach vorbei, ich bin da», beendet Bert De Rycker, Koch und Besitzer des Restaurants Le Rawyl in Randogne, das Gespräch. Kurze Zeit später steckt seine Nase tief in einer Handvoll frischer Trüffeln. Vorbeigebracht hat sie der Anrufer, ein Mann aus der Region. Seinen Namen wolle er lieber nicht hier lesen, entschuldigt er sich. Denn was er da in einem Korb mitgebracht hat, ist einige Hundert Franken wert – Walliser Trüffeln. Bert De Rycker schneidet einen der Pilze auf, riecht nochmals daran. «Ja, ich nehme sie, wie viel haben Sie?» Viel. Der Besucher kramt noch ein Tupperware mit Trüffeln von vorgestern hervor. Wie er diese denn gefunden habe, will De Rycker wissen und schaut ihn interessiert an. «Zufall», erzählt der Mann, seine Kinder hätten sich einen Hund gewünscht, er habe einen gekauft, sei mit ihm ein bisschen in den Wald gegangen, und dann grabe der plötzlich nach Trüffeln. Jetzt kann sich Bert De Rycker das Lachen nicht mehr verkneifen. Und auch sein Gast, Winzer Thierry Constantin, schaut ungläubig nochmals auf den Fund und bricht in Lachen aus.
Bert De Rycker verabschiedet den Besucher, nicht ohne ihm noch nachzurufen, dass er einfach vorbeikommen solle, falls er wieder etwas zu verkaufen habe. Er nimmt das Rüstmesser zur Hand und fährt fort, eine Schwarzwurzel zu schälen. Eigentlich wäre heute Bert De Ryckers freier Tag, aber er will die zwei Gerichte kochen, die wir hier als Rezepte für die Winterzeit zeigen wollen. Offenbar ist der gebürtige Belgier häufig auch an freien Tagen hinter dem Herd. Das sagt jedenfalls sein Sommelier Quentin Capdeville, der kurz hereinschaut. «Er pröbelt, testet, ändert ab, und wenn wir am Tag darauf kommen, hat er ein neues Gericht, das wir auf die Karte setzen können. Er sprüht nur so vor Ideen – deshalb ist es so schön, für ihn zu arbeiten.»
Er könne aber auch einstecken, beschreibt Quentin seinen Chef weiter: «Manchmal sind wir uns nicht einig, welcher Wein dazugehört, und wir können da durchaus auch mal laut werden. Dann kann es vorkommen, und das finde ich toll an einem Chef, dass er sein Rezept abändert, damit mein vorgeschlagener Wein dazu passt.» Bert De Rycker findet das normal. «Ich bin mit Leib und Seele Koch und strebe immer danach, noch besser zu werden. Also ist es doch klar, dass ich auch auf andere höre.»
Seit zehn Jahren lebt er hier im Wallis. Eigentlich wollte er nur eine Saison mal in die Berge kommen, nachdem er bei Sterneköchen wie Thierry Marx und im «La Tour d’Argent» in Paris gearbeitet hatte. 2009 beginnt er im Restaurant Le Panorama in Mollens, und 2013 wird er Chef im Café Cher-Mignon in Chermignon-d’en Haut. Das ist nicht allzu weit entfernt von seinem jetzigen Restaurant, am Hang zwischen Sierre und Crans-Montana gelegen. Als er das «Le Rawyl» besichtigte, entschied er sich schnell: «Ich sah die Aussicht und wusste, hier will ich bleiben.»
2016 übernimmt er und serviert vor allem Bistroküche, er wollte bei der Kundschaft, die wegen der vielen Wechsel wegblieb, wieder Vertrauen schaffen. Doch ein Jahr später stellte er fest: «Das stimmte für die Gäste nicht, und es stimmte für mich nicht.» Er startete einen Umbau und entschied sich, seine Küche nach seinen Vorstellungen umzusetzen: «In der Schweiz essen viele Menschen auswärts, um sich zu ernähren. In Belgien geht man auswärts, um etwas zu erleben.» Das umzusetzen, war nun sein Ziel. Er wagte viel – und gewann: Der GaultMillau zeichnete ihn als Entdeckung der Romandie 2019 aus, und er kam gleich mit 15 Punkten in den Gastroführer. «Das hat mich unheimlich gefreut. Und es motiviert mich.»
Sein Motto hat er in der Küche auf einer Tafel über der Tür verewigt: «Konstante Qualität. Immer». Er macht alles selber, ehrt die Produkte, lässt sie für sich sprechen und arbeitet vor allem am Geschmack. «Nicht mehr als vier verschiedene Gouts pro Teller», ist sein Prinzip. Das heisst nicht, dass er nicht auch wagemutig ist: Er verbindet Randen mit Schokolade, Gurken mit Kaffee oder Himbeeren mit Spinat. Diese rebellische Seite zeigt sich auch auf seinen Armen, auf denen Gemüse, aber auch der Spruch «Oui, Chef!» tätowiert ist. Das ist es auch, was ihn mit Winzer Thierry Con-stantin verbindet: Sie haben beide den gleichen Tätowierer und sagen: «Tattoos sind eine Sucht, beginnt man mit einem, kann man nicht mehr aufhören.»
Äusserlich würde man sonst nicht denken, dass sie sich viel zu sagen hätten. Hier das Kraftpaket Bert, dort der drahtige ehemalige Marathon-Schweizermeister Thierry. Doch sind sie beide beseelt vom Wunsch nach perfektem Genuss. «Mein Vater hatte Reben, hat aber nicht selber gekeltert. Für mich war immer klar, dass ich den Wein vom Anfang bis zum Schluss selber herstellen will.» Klar war auch sein wirtschaftliches Ziel: Weine für die Gastronomie. «Es gibt nichts Schöneres als ein perfektes Essen mit dem richtigen Wein.» Heute beliefert Thierry Constantin unter anderem die Superstars Anne-Sophie Pic im französischen Valence und Heston Blumenthal in London. Besonders bekannt ist er für seinen trockenen Amigne, eine Sorte, die sonst eher mit Süsse assoziiert wird. «Der trockene Amigne hat die ganze Schönheit dieser wunderbaren Original Walliser Traube, kann aber sehr gut zu Vorspeisen serviert werden.» Constantin und De Rycker testen die Weine zu den entsprechenden Gerichten. Essen und Trinken, das ist mehr als Nahrungsaufnahme. Das ist purer Genuss, Gespräche über Geschmacksnoten, Zubereitungsarten und gegenseitiger Respekt vor der Höchstleistung.