«Wer möchte denn probieren?», bedrohlich präsentiert der Kellner die Flasche, jederzeit ready, zum Ausschank anzusetzen.
Stille, beschämte Blicke auf die Tischdecke, «bitte nicht ich, bitte nicht ich», rauscht es in den aufheizenden Köpfen der Anwesenden. Bis sich schliesslich einer aus der Runde erbarmt. Es wird genippt, es wird geschluckt, «mhm, oh, der is lecker, nehmen wir». Puh, Schwein gehabt. Endlich kann mit vollen Gläsern darauf angestossen werden, dass man mal wieder davongekommen ist. Mal wieder um Haaresbreite nicht als absoluter Wein-Banause geoutet wurde. Oder wurde man das längst?
Ein anderes Szenario: Auf dem Weg zur Dinner-Einladung auf halber Strecke noch schnell in den Supermarkt hopsen und eine Flasche Wein besorgen. Man kann schliesslich nicht mit leeren Händen auftauchen. Und Wein kommt immer gut, Wein mag jeder. Also hin zum Regal und dann … Ratlosigkeit. Rot? Weiss? Rosé?? Schaumwein?! Einer von hier, einer aus Spanien? Rioja, den kennt man doch, der is sicher gut. Oder doch lieber der da mit dem blumigen Etikett? Herrje.
Nee, obwohl wir ihn in illustren Runden regelmässig genüsslich aus klirrenden Gläsern schlürfen, scheint das mit dem Wein kein leichtes Unterfangen zu sein. Jedenfalls dann nicht, wenn es vom reinen Konsumieren ins fachmännische Kennen umschlägt. Schade eigentlich. Es wäre doch schön, wenn wir im Wein-Gang schnurstracks zu einer unserer Lieblingsflaschen marschieren könnten, oder im Restaurant nicht gleich im Erdboden versinken müssten, wenn die Kostprobe ansteht. Damit wir in diesen Situationen in Zukunft nicht mehr (ganz so) dumm aus der durstigen Wäsche gucken, haben wir bei Daniela Wüthrich angerufen, ihres Zeichens diplomierte Head Sommelière im Victoria-Jungfrau Grand Hotel & Spa.
Wie findet man den eigenen Lieblingswein?
Probieren geht über Studieren Dieser Spruch trifft hier mal so richtig ins Schwarze. Genau darum geht es nämlich – ums Probieren. Und dann immer schön mitdenken. Daniela Wüthrich rät, sich immer Rebsorte und Region zu notieren, wenn man einen mundenden Tropfen gefunden hat. Auch der Charakter des Weins spielt eine entscheidende Rolle. Ist er fruchtig? Filigran? Vollmundig? Mitschreiben und bei nächster Gelegenheit auf die Frage «Was für ein Wein darf es denn sein?» wie ein echter Kenner auspacken.
Beraten lassen Ist die Basis dann mal da, lohnt sich ein Besuch in der Weinhandlung. Hier kann man sich Flaschen aus den entsprechenden Regionen oder von anderen Rebsorten im ähnlichen Stil empfehlen lassen und seine Grundkenntnis immer weiter fundieren.
Apropos Weinhandlung: Woher weiss man, welchen Wein man mitbringen soll?
Beraten lassen Ja, wir wiederholen uns. Aber es macht nun mal Sinn. Ihr wisst bereits, was aufgetischt werden wird? Fragt beim Fachpersonal, welcher Wein am besten dazu passen würde. Daniela Wüthrich weiss nämlich, dass selbst der teuerste Wein nicht gut wegkommt, wenn er überhaupt nicht zum Menü passt – richtig kombiniert aber ein echter Traum sein kann. Und, dass Weinhandlungen einen klaren Vorteil haben: Hier bekommt man selbst zu fairen Preisen richtig gute Tropfen. Der interessierte Kunde soll schliesslich wiederkommen. Im Supermarkt stehen wir eh auch nach diversen Fehlgriffen immer wieder auf der Matte, da spielt die Qualität keine besonders grosse Rolle.
Dem eigenen Geschmack vertrauen Inzwischen wissen wir, was uns persönlich schmeckt. Ist das Menü noch nicht bekannt, bringen wir also eine Flasche unseres eigenen Lieblingsweins mit – und können natürlich ein, zwei Facts über seine Herkunft, Rebsorte und Attribute droppen, während wir ihn überreichen.
Auch immer gut als Mitbringsel mit persönlicher Note ist für die Sommelière ein Wein aus dem Heimatkanton. Einen kleinen Extratipp gibt sie ausserdem: Rotweine sind als Gastgeschenk ein wenig unkomplizierter, da sie nicht wie Weisswein erst (wieder) kühlgestellt werden müssen.
Auf was gilt es im Restaurant bei der Weinprobe zu achten?
Schwenken Ja, das macht tatsächlich Sinn und enttarnt auf den ersten Blick auch schon den Kenner vom Banausen. Rotwein, Rosé und Weisswein vor dem Probieren immer kurz im Glas schwenken, damit sich die Aromen (oder Fehler wie Korkgeschmack) an der Luft entfalten können und intensiver werden.
Schaumwein dagegen bitte bloss nicht schwenken! Dem hilft schon die Kohlensäure beim Entfalten der Aromen und selbige geht beim Schwenken eher verloren.
Fehler erkennen Um schlechten Wein zu erkennen, muss man mal welchen getrunken haben, erklärt Daniela Wüthrich. Korkt er, hat er einen Essigstich? Trifft dieser oder ein anderer Fehler zu, darf man den Wein ohne schlechtes Gewissen ablehnen, oder die Sommelière oder den Sommelier selber probieren lassen.
Ehrlich sein Wenn der Wein nicht schmeckt, darf man das tatsächlich sagen. Im besten Fall ist man im Restaurant so kulant, dass eine andere Flasche angeboten wird – auch hier soll «der Kunde» schliesslich zufrieden sein und wiederkommen. Ist das nicht der Fall, habt ihr es wenigstens gesagt und könnt aus der Reaktion eure Schlüsse ziehen …
Seid ihr schon hooked?
Wer bis hierhin gelesen hat, der hat wahrscheinlich Interesse an Wein. Und daran, sein Wissen ein wenig aufzustocken. Euch empfiehlt die Sommelière hübsche Einsteigerbücher wie «Endlich Wein verstehen: Einfach. Klar. Ungefiltert.» oder «Einfach Wein: Der illustrierte Guide». Wer in die mal eine Stunde seines Lebens investiert, kommt garantiert nicht mehr ins Schwitzen, weder am Restauranttisch, noch vorm Supermarktregal. Und ein hübsches Mitbringsel sind die übrigens auch – falls der Lieblingswein mal ausverkauft sein sollte.
Vielen Dank für die wertvollen Tipps, liebe Frau Wüthrich ♡