Dass wir auch 2024 noch für die tatsächliche Gleichstellung der Geschlechter kämpfen müssen, ist tragisch, aber notwendig. Auch wenn sie seit 1981 in der Verfassung verankert ist und eigentlich längst selbstverständlich sein sollte.
Wer jetzt denkt, «so schlecht geht es den Frauen in der Schweiz doch nicht», der hat, verglichen mit den Unmenschlichkeiten in anderen Ländern, natürlich Recht. Deswegen aber zu vergessen, dass es auch bei uns noch jede Menge zu tun gibt, ist der falsche Weg. Wir haben die Möglichkeit und das Privileg, für unsere Rechte einzustehen und zu kämpfen – und mehr als genug Gründe, das auch heute, dem 14. Juni 2024 gemeinsam zu tun:
Die erste lila Welle rollte am 14. Juni 1991 durch die grössten Schweizer Städte. Rund 500 000 Frauen beteiligten sich an dem Protest unter dem Motto «Wenn Frau will, steht alles still». Weil es eben auch 10 Jahre nach der Einführung des Gleichstellungsartikels noch an dessen Umsetzung fehlte. Ein geschriebenes Gesetz macht eben noch keine Veränderung. 32 Jahre später ist jedem klar, dass ein Recht auf Gleichstellung bestehen MUSS. Genauso aber, dass die Umsetzung auch heute noch nicht da angekommen ist, wo sie sein sollte. Höchste Zeit, Unternehmen, Staat und Bürger*innen wieder einmal daran zu erinnern.
Bis Männer und Frauen weltweit die gleichen Rechte haben, wird es noch 135,6 Jahre dauern – wenn es im aktuellen Tempo weitergeht. Das errechnet der jährlich erscheinende Gender Gap Report des Weltwirtschaftsforums. Wir wissen nicht, wie es bei euch aussieht, aber wir möchten nur ungern so lange warten. Veränderung muss JETZT stattfinden. Und damit das klappt, muss die ganze Welt verstehen, dass sie nötig ist.
Die Gender Pay Gap existiert. Man kann darüber streiten, ob der bereinigte oder der unbereinigte Wert aussagekräftiger ist. Die gute Nachricht: Seit 2012 sinken die Werte ständig. Auch, weil wir endlich für unsere Rechte einstehen. In der Gesamtwirtschaft verringert sich das Lohngefälle (Median) zwischen Frauen und Männern allmählich. 2020 belief es sich auf 10,8%, gegenüber 11,5% im Jahr 2018 und 12,0% im Jahr 2016. Doch: Je höher die Hierarchiestufe der Stelle, desto grösser fällt der geschlechterspezifische Lohnunterschied aus.
Die Gleichstellung der Geschlechter ist – wie oben schon erwähnt – in der Verfassung verankert. Oder? Hm. Nicht ganz. In Artikel 1 des Bundesgesetzes über die Gleichstellung von Frau und Mann heisst es: «Dieses Gesetz bezweckt die Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frau und Mann.» Nur die Förderung? Wie wäre es mit Tatsachen? Wenn man solche kleinen, feigen Schlupflöcher weglassen und endlich einmal Nägel mit Köpfen machen würde?
In den Büchern geht es leider nicht viel besser weiter. Durch das revidierte Gleichstellungsgesetz müssen Firmen mit über 100 Mitarbeitern ihre Löhne analysieren und prüfen lassen und die Ergebnisse offenlegen. Eine allfällige Lohnungleichheit muss freiwillig beseitigt werden. Klingt ein bisschen lasch? Ist es auch. Sanktionen gibt es nämlich – Achtung – keine. Weder für das Ignorieren der Ungleichheit, noch falls sich ein Unternehmen dazu entscheidet, die Analyse gar nicht erst durchzuführen.
59 Prozent der Schweizerinnen wurden schon sexuell belästigt. Das ergab eine Umfrage des Forschungsinstituts gfs.bern im Jahr 2019. Schockierend und gleichzeitig wenig überraschend. Vor allem als Frau. Damit sich das endlich ändert, müssen wir jetzt handeln.
9 von 10 Alleinerziehenden sind Frauen. Und jede*r sechste Alleinerziehende in der reichen Schweiz ist von Armut betroffen – häufig trotz Erwerbsarbeit. Der Durchschnitt bei alleinerziehenden Müttern mit Kindern unter sechs Jahren liegt bei 17 Wochenstunden – hinzukommen noch 54 Stunden Haus- und Familienarbeit.
Tampons und Damenbinden gelten immer noch als Luxusgüter und werden mit 7,7 Prozent besteuert. Frische Schnittblumen und Viagra hingegen geniessen den Stand als «lebenswichtige Alltagsgüter» und kommen mit nur 2,5 Prozent Besteuerung davon. Die grosse Kammer stimmte im Mai 2022 der Herabsetzung der Mehrwertsteuer von 7,7 auf 2,5 mit 107 zu 70 Stimmen bei 7 Enthaltungen zwar zu. Es fehlt jedoch noch die definitive Zustimmung des Ständerats.
Trotz aller Ungerechtigkeiten ist Fakt: In der Schweiz sind Frauen und Männer privilegiert. Allein, dass wir die Möglichkeit haben, zu streiken und zu demonstrieren, ohne gewaltsamen Widerstand befürchten zu müssen, ist wahnsinnig viel wert. Wer ein solches Privileg nicht nutzt und nur meckert, statt Taten folgen zu lassen, riskiert auf lange Sicht, es zu verlieren. Und ohnehin gilt: Wer nicht kämpft, hat schon verloren.