Sie hat Pfingsten mit ihrem Liebsten in San Remo verbracht. Romantisch zwar, aber nur mit Mass. «Ich hatte nicht nur Sommerkleider, sondern auch meine dicken Medizin-Bücher mit dabei», sagt Laetitia Guarino, 24, Miss Schweiz 2014. Denn schon kurz nach dem Ausflug an die italienische Riviera hat sie in den Katakomben des Berner Inselspitals, an einem Spind, auf dem ihr Name steht, das Kleid gegen einen weissen Arztkittel getauscht. Die Medizinstudentin absolviert ein Praktikum in der Klinik von Herzchirurg Professor Thierry Carrel, 57, am renommierten Herz- und Gefässzentrum des Universitätsspitals.
Für Laetitia eine der wichtigsten Stationen ihres Wahlstudienjahres. Zwar hat sie in ihrer Heimatstadt Lausanne auf dem Notfall schon einiges gelernt und wird im Sommer auf einer Geburtsstation im Tessin arbeiten, aber ihr Berufswunsch steht fest: «Ich will Chirurgin werden!» - «Fleiss und Ausdauer sind die wichtigsten Attribute eines angehenden Chirurgen», sagt Carrel. Das nimmt Laetitia sich zu Herzen. Wie eine Assistenzärztin schiebt sie nun 50-Stunden-Wochen, Nachtschichten und Wochenendeinsätze inklusive. «Wir Studierenden sind für die Patienten-Eintritte zuständig und assistieren bei Operationen.»
Konzentration im OP
Bereits am zweiten Tag darf Laetitia ihrem Chef als Assistentin im Operationssaal zur Seite stehen. Eine undichte Aortenklappe sowie eine erweiterte Hauptschlagader sollen ersetzt werden. Laetitia hält Sauger und Haken. «Am Ende dieses Monats sollten Sie eine Hautnaht perfekt machen können», sagt Carrel. Ansonsten spricht er nicht viel im OP. Und Laetitia versteht instinktiv, dass Konzentration gefragt ist und sie ihre Fragen für später aufheben soll.
Ein gutes anatomisches Verständnis des Herzens bringt die Lausannoise bereits mit: Seit zwei Jahren begleitet sie als Botschafterin das Projekt eines Kinderherzzentrums, welches Ärzte des Aufbaus eines Kinderherzzentrums, welches Ärzte des Inselspitals in Zusammenarbeit mit Terre des hommes und Corelina in der marokkanischen Hauptstadt Rabat planen. Sie assistierte bereits bei Untersuchungen und Eingriffen am Kinderherz und schreibt ihre Masterarbeit im Rahmen dieses Projekts. «Es geht um die Auswertung der Folgen von zu spät korrigierten Herzfehlern. Es ist erstaunlich, aber es gibt kaum wissenschaftliche Daten darüber», erklärt Laetitia.
Belastende Arbeit und traurige Schicksale
Als Terre-des-hommes-Botschafterin nutzt sie die Gelegenheit, um im Stock J des Berner Kinderspitals schnell nach der fünfjährigen Safiatouzu sehen. Bei der Kleinen wurde dank der humanitären Hilfe des Inselspitals und der Kinderherzstiftung Corelina, sowie Terre des Hommes, vor wenigen Tagen ein schwerer Herzfehler korrigiert, der in ihrem Heimatland Guinea den Tod bedeutet hätte. Dank des Eingriffs in der Schweiz hat sie nun ein gesundes Leben vor sich: «Bald wirst du zurück zu deiner Familie fliegen können», sagt Laetitia, knuddelt das scheue Mädchen und entlockt ihm ein Lächeln.
Auch mit traurigen Schicksalen ist Laetitia während ihres Praktikums konfrontiert. «Unsere Arbeit kann sehr belastend sein», sagt Thierry Carrel. «Es geht schlussendlich immer um Leben und Tod in der Herzchirurgie.» Umso wichtiger ist es ihm als Chef, dass seine Mitarbeitenden in ihrer Freizeit einen Ausgleich finden. Diese menschliche Haltung gehört mit zum Erfolgsprinzip der «Berner Schule», mit welcher Carrel sich aus Ausbildner international einen Namen gemacht hat.
Seine Praktikumsstellen sind begehrt. Laetitia ist eine von zwölf Studierenden der Abteilung, die täglich im Operationssaal und auf den herz- und gefässchirurgischen Stationen ausgebildet werden. Führt das zum Konkurrenzkampf? «Nein, ich bin überzeugt, dass man mit Teamgeist weiter kommt», sagt Laetitia und entschuldigt sich. Ein Mitstudent hat sie angefunkt, um zu fragen, ob sie für eine französischsprachige Patientin übersetzen könne. «Klar, ich komme!»