«Da muss aber jemand wieder mal trainieren.» Solche und ähnliche Kommentare erntete Hollywoodstar Jason Momoa auf Social Media kürzlich auf ein Foto, das ihn in den Ferien oberkörperfrei am Strand zeigt. Beim «Aquaman»-Star ist ein minimer Ansatz eines winzigen Bäuchleins zu sehen und er ist weit weg davon, übergewichtig zu sein.
Bodyshaming – also jemanden aufgrund seiner körperlichen Erscheinung zu beleidigen oder zu diskriminieren – galt lange als etwas, das in erster Linie Frauen und Mädchen betrifft. Vor allem unter Jugendlichen. Wer keinen schönen, schlanken Körper hatte, musste dumme Sprüche einstecken, wurde gehänselt oder gar gemobbt.
Das war schon in meiner Schulzeit so. Ich kannte Mädchen, die sind schon mit 12 Jahren von Diät zu Diät geschlittert, und das ganz ohne Social Media. Für die Jungs kein Thema. Die lasen auch keine Magazine, in denen Ananas- oder Avocado-Diäten angepriesen wurden oder Styleberatungen, die «fünf Kilo wegmogeln». Instagram und Co. verstärkten diesen Druck. Die Kommentare wurden noch gemeiner – und konzentrierten sich lange in erster Linie auf die weibliche Hälfte der Bevölkerung.
Aber die Stimmen gegen Bodyshaming wurden immer lauter. Und mit der Zeit macht sich unter den Frauen und Mädchen ein Gegentrend bemerkbar: Body Positivity. Also den eigenen Körper – und den von anderen – zu akzeptieren und respektieren, so wie er ist. Dass der Trend ganz langsam gesellschaftstauglich wird, zeigt die Tatsache, dass auch grosse Modeketten nicht mehr nur mit vermeintlich perfekten Körpern werben, sondern auf mehr Diversität setzen.
«Als Mädchen bist du auch cool, wenn du zum Beispiel musikalisch bist. Oder gut in der Schule. Ein Bub, der nicht sportlich ist, ist bei den anderen untendurch.»
Bei den Frauen. Männer, die nicht gross und schlank sind, sucht man in der Webung immer noch vergebens. Und während die Mädchen langsam dabei sind, sich nicht mehr so unter Druck zu setzen, wird der Druck auf die Jungs immer grösser. «Die sind schon armi Sieche, manchmal», bestätigt meine Tochter. Es sei tatsächlich so: Mädchen würden wegen ihrer Körperformen kaum mehr «einfach so» beleidigt. «Ausser man ist sauer auf eine. Aber dann kann mans ja eh nicht ernst nehmen.» Buben hingegen müssten viel mehr einem gewissen Bild entsprechen.
«Als Mädchen bist du auch cool, wenn du zum Beispiel musikalisch bist. Oder gut in der Schule. Ein Bub, der nicht sportlich ist, ist bei den anderen untendurch», erklärt meine Tochter. «Und wehe, einer hat ein bisschen ein Bäuchlein. Der muss in der Badi oder auf WhatsApp mega blöde Sprüche ertragen.»
«Die Konversation über männliche Body Positivity ist längst überfällig», sagt der Zürcher Fotograf Elay Neal Moses. Er holte für ein Projekt Männer vor die Kamera, die sich trauten, ihre unperfekten Körper in Szene zu setzen – viele davon fand er nicht. Während sich in meiner Gymi-Zeit ein T-Shirt mit der Aufschrift «Bier formte diesen wunderschönen Körper» unter den Jungs grösster Beliebtheit erfreute, rennen nicht wenige der Klassenkameraden meiner Tochter von Fussballtraining zu Fitnesscenter und meiden die ehemals geliebte Pizza wie der Teufel das Weihwasser.
«Es kann nicht sein, dass die Jungs und Männer jetzt offenbar in etwas hineinschlittern, aus dem sich die Mädchen und Frauen gerade mühsam herauskämpfen.»
Was ist hier bloss passiert? Damit wir uns nicht falsch verstehen: Es ist völlig in Ordnung, einen sportlichen, schlanken Körper zu haben – sowohl als Mann als auch als Frau – und dafür auch mal auf etwas zu verzichten. Aber dass man einem Idealbild entsprechen «muss», weil alles andere einfach nicht akzeptiert wird, kann doch nicht sein. Und vor allem kann es nicht sein, dass die Jungs und Männer jetzt offenbar in etwas hineinschlittern, aus dem sich die Mädchen und Frauen gerade mühsam herauskämpfen.
Das heisst für uns Mütter und Väter, dass wir nicht nur unseren Töchtern regelmässig sagen, dass sie so, wie sie sind, total in Ordnung sind und dass kein Junge oder keine Clique der Welt irgend eine krasse Diät wert sind. Sondern – und vor allem – auch unseren Söhnen. Denn auch wenn sies nicht zugeben, sie könnens gerade besonders gut brauchen.
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