Darf ich meine Kinder anlügen? Klar. Es gibt Situationen, in denen das einfach nötig ist. Entweder, um sie vor der bitteren Wahrheit zu schützen («Die Katze ist davongelaufen und lebt jetzt mit ihren Katzenfreunden im Wald») oder, um mich vor längeren Diskussionen zu schützen («Nein, ich habe keine Schokolade gegessen nach dem Zähneputzen!»).
Und dann gibts da noch die Lügen, die man seinen Kindern erzählt, ohne gross darüber nachzudenken. Weil es jeder tut. Samichlaus, Christkindli, Zahnfee, Osterhase. Meine Kinder wissen, wer der heilige Nikolaus war. Sie kennen die Weihnachtsgeschichte. Und sie wissen, warum wir Ostern feiern. Trotzdem glauben sie felsenfest an diesen Hasen. Wir feiern Ostern meist in den Bergen, und vergangenes Jahr hat mein Sohn die Fussspuren des Osterhasen im Schnee auf der Terrasse entdeckt. (Es waren die Fussspuren meines Bruders - etwa Grösse 45 -, der ihre Osternester versteckt hat.) Er ist seither überzeugt, der Osterhase muss gut zwei Meter gross sein und aufrecht gehen. Was ihm recht logisch erscheint, schliesslich muss er ja die Osternester tragen.
Dieses Jahr bringt der Osterhase zwei Schultheks. Wir sind also losgezogen, sie haben sich ihre Wunschexemplare ausgesucht, und ich sagte, ich werde ihre Wünsche dem Osterhasen weitergeben. Der tut, was er kann. Jetzt liegen die Dinger im Keller versteckt, müssen am Wochenende irgendwie heimlich ins Auto geladen, aus dem Auto geladen und versteckt werden. Warum mache ich das? Warum kaufe ich ihnen nicht einfach die Theks, die sie ja eh brauchen, und schenke sie ihnen zu Ostern? Und verstecke dann Schokohasen, die sie suchen müssen, und wenn sie sie nicht finden, gehören sie mir? Warum erzähle ich ihnen so unlogischen Mist von Hasen, die Eier anmalen und Schoggi und Schultheks verstecken?
Irgendwie ärgere ich mich darüber, dass sie den ganzen Quatsch überhaupt nicht hinterfragen. Ich meine, kommt schon, Kids. Gebt doch mal einem Karnickel einen Pinsel in die Pfoten, legt ihm ein Ei hin und schaut, was passiert. Oder zieht mal den Samichlaus am Bart. (Gut, da kamen vergangenen Dezember schon ein paar Fragen auf. Warum hat der Schmutzli eine so hohe Stimme? Und warum sind sie mit dem Auto gekommen?) Aber nichts dergleichen. Samichlaus, Christkindli, Zahnfee, Osterhase. Meine Kinder glauben daran. Weil sie daran glauben wollen? Oder weil sie wissen, dass ich möchte, dass sie daran glauben?
Wenn sie irgendwann darauf kommen und mich fragen, muss ich ihnen wohl oder übel die Wahrheit sagen. Aber was ist die Wahrheit? Nur weil ich nicht mehr an den Osterhasen glaube, heisst das nicht, dass es ihn nicht gibt. Oder?