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Der ganz normale Wahnsinn

Die ständige Angst ums Kind

Etwas vom Prägendsten am Elternsein ist die ständige Angst, die einem im Nacken sitzt, sagt unsere Familienbloggerin. Auch wenn man versuchen muss, sie abzuschütteln – vorbei geht sie nie. Vor allem dann nicht, wenn sich der Sohn im Teenageralter ein Motorrad kauft.

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Sandra Casalini Blog der ganz normale Wahnsinn

Egal, ob die Kids on- oder offline unterwegs sind: Eine gewisse elterliche Sorge schwingt immer mit.

Lucia Hunziker

Was hast du gemacht?», fragt meine kinderlose Freundin ungläubig. «Du bist ihm den ganzen Weg hinterhergefahren? Auf der Landstrasse? Zwei Stunden lang?» Ja, bin ich. Mein Sohn hat sich ein Motorrad gekauft. Kein Riesending, so ein 125-ccm-Maschineli, und das musste er nun abholen, irgendwo im Bündnerland. Nennt mich eine Gluggere, aber für mich war klar, dass er das nie im Leben allein macht. Ich meine, ausser einer kurzen Probefahrt ist er das Teil noch nie gefahren, ausserdem hat er noch nicht mal die Prüfung, sondern erst den Lernfahrausweis. Ich wollte sicher sein, dass er nicht schwerverletzt in irgend einem Strassengraben landet, wenn er das erste mal mit dem Ding unterwegs ist. Und da er selbst, um Fahrpraxis zu gewinnen, auf der Landstrasse fahren wollte (zu meiner Beruhigung), bin ich zwei Stunden hinter ihm her getuckert. Ich hab ja sonst nichts zu tun.

Ich glaube, dass etwas, das die Elternschaft unter anderem am meisten prägt, die ständige Angst um die Kinder ist. Sie sitzt einem im Nacken ab dem Tag, an dem man einen positiven Schwangerschaftstest in der Hand hält, und lässt einen bis ans Lebensende nie wieder los. Bereits während der Schwangerschaften hatte ich vor jedem Ultraschall Herzklopfen. Was, wenn etwas nicht gut ist mit dem Baby? Kind 2, das die neun Monate Schwangerschaft mehr oder weniger durchpennte, hab ich regelmässig durch Anstupsen aufgeweckt, damit es sich bewegte und ich spüren konnte, dass es noch lebt.

«Man mag milde lächeln über wache Teenager-Eltern, die erst dann einschlafen können, wenn die Kids zu Hause sind. Aber die Vorstellungen, die einem da so durch den Kopf gehen, sind alles andere als lustig.»

So gehts weiter. Situationen, in denen mein Mutterherz unangenehm schneller schlug, gabs rückblickend fast täglich. Als Kind 1 erstmals kopfvoran vom Bett flog (die Ärztin am Telefon: «Schreit sie?» Ich: «Ja, und wie.» Die Ärztin: «Gut. Nicht gut wäre, wenn sie nicht mehr schreien würde.») Als Kind 2 einen WC-Stein ass (Die Ärztin: «Hat er erbrochen?» Ich: «Ja.» Die Ärztin: «Gut. Nicht gut wäre, wenn er sich jetzt mit dem Zeug an den Händen in die Augen fassen würde. Ziehen Sie ihm Handschuhe an.») Als Kind 2 Blut kotzte (Die Ärztin: «Was hat er gegessen? Ich: «Himbeeren.» Die Ärztin: «Sind Sie sicher, dass es Blut ist?»)

Das klingt jetzt so, als wäre ich über-ängstlich. Vielleicht bin ich das ja tatsächlich. Trotzdem – oder sogar gerade deswegen – wage ich zu behaupten, dass ich meine Kinder nie in Watte gepackt habe. Im Bewusstsein, dass ich nicht verhindern kann, dass sie mal auf die Nase fallen oder sich die Finger verbrennen, habe ich sie oft machen lassen. Was man ausblenden muss, ist die latente Furcht, dass etwas Schlimmes passieren könnte. Es gibt auch so noch unzählige Situationen, in denen diese hochkommt. Und eben: Vorbei geht sie nicht. Man mag milde lächeln über wache Teenager-Eltern, die erst dann einschlafen können, wenn die Kids zu Hause sind. Aber die Vorstellungen, die einem da so durch den Kopf gehen, sind alles andere als lustig. Vor allem, wenn einer dieser Teenager noch mit dem Töff unterwegs ist. «Ach», meint jener Teenie, als er nach Mitternacht zu Hause eintrudelt. «Wenn ich gewusst hätte, dass du eh noch wach bist, hättest du mich abholen können. Dann hätte ich Benzin gespart.» Was soll ich sagen – de Kindes Pragatismus ist beeindruckend. Ich könnte mir eine Scheibe davon abschneiden.

Von SC am 8. Juni 2024 - 12:00 Uhr