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Der ganz normale Wahnsinn

Samichlaus, du liebe Maa ...

Er ist eine helvetische Institution: der Samichlaus, der die Schweizer Kinder jeweils am 6. Dezember besucht. Unsere Familienbloggerin hat durchzogene Erinnerungen an den bärtigen Mann. Sowohl aus ihrer eigenen Kindheit als auch aus der ihrer beiden Teenager.

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Familiensache Ferienzeit SRF Samichlaus Sprüche 2016

Corona sei Dank wird es dieses Jahr keine solchen Samichlaus-Szenen geben. Hausbesuche darf der Chlaus in gewissen Regionen unter Einhaltung der Vorsichtsmassenahmen machen. Dazu gehört auch genügend Abstand. Unsere Familienbloggerin hätte dies als Kind sehr begrüsst. 

Sophie Stieger

Was hätte ich als Kind jeweils anfangs Dezember für irgend etwas in der Art von Corona gegeben! Natürlich nicht für ein Virus, das zuerst die Menschen und anschliessend die Wirtschaft flachlegt. Sondern für etwas, das mich vor etwas – beziehungsweise jemandem – bewahrte, den ich damals mehr fürchtetet als jedes Virus dieser Welt: dem Samichlaus.

Ab hinters Sofa - mit einem Küchenmesser!

Mein Vater hielt den Spruch «dafür nimmt dich der Samichlaus in seinem Sack mit» für eine vollkommen adäquate Erziehungsmethode. Dazu kam, dass ich dieses bärtige, rot-schwarze Duo, das sich da in der Dunkelheit zwischen den Wohnhäusern herumtrieb, für mehr als nur gruselig hielt. Und dann dieses blöde Buch. Ich meine hallo? Würden wir Erwachsenen es etwa lässig finden, wenn wir einmal pro Jahr vor der ganzen Familie von irgend einem Typen, der im Wald wohnt, für unsere Vergehen angeklagt werden?

Mir wärs auf jeden Fall immer am liebsten gewesen, er hätte den Bonus für meine Jahresleistung diskret vor der Tür deponiert und wäre wieder verschwunden. Da dies keine Option war, versteckte ich mich jedes Jahr hinter dem Sofa. Bewaffnet mit einem Küchenmesser, mit dem ich mich im Notfall aus diesem Sack hätte befreien können. Meine sehr erheiterte Familie hat mich leider immer verraten. Dass ich nie in diesem Sack mitgenommen wurde, weil ich tatsächlich immer so brav war, oder weil dies einfach eine Erfindung meines Vaters war, konnte ich allerdings nie mit Sicherheit sagen.

«Zu der Zeit dachten die Kinder vermutlich, der gute Mann sei ein obdachloser Alkoholiker, da wir immer die letzten auf seiner Tour waren, und er zuvor offensichtlich schon in jedem Haushalt einen Schnaps angeboten bekam – und jeden davon wohl dankend annahm.»

Umso mehr war ich darauf bedacht, meinen Kindern den Samichlaus nicht in erster Linie als Mann zu präsentieren, der ihnen ihre Sünden unter die Nase reibt, sondern als das, wofür er ursprünglich steht: Bischof Nikolaus war der Schutzpatron der Kinder. Und sollte sie als solcher jeweils kurz vor Weihnachten besuchen, um sicherzustellen, dass es ihnen gut geht.

Natürlich führte diese Darstellung nicht unbedingt zum grössten Respekt gegenüber diesem bärtigen Gesellen. Während Kind 1 jeweils fleissig Lieder und Gedichte übte – in erster Linie vermutlich vor allem deshalb, weil es schon damals die Performance liebte, und je grösser das Publikum, desto besser – gab Kind 2 einfach gerade das zum Besten, was ihm im Moment einfiel.

Unvergessen der Abend, als es voller Inbrunst und in Begleitung einer kleinen Trommel sein damaliges Lielingslied, «Mexico» von Les Humphries zum Besten gab. Und wenn ihm nichts einfiel, erzählte es einfach von seinem Tag: «Du Samichlaus, der Teich hinter dem Kindergarten ist zugefroren, und jetzt können die Frösche gar nicht mehr dort wohnen. Kann ich jetzt schauen was in deinem Sack ist?»

Tschüss, Samichlaus! Auf Nimmerwiedersehen.

Ab dem Primarschulalter hatten wir eine Zeit lang immer den selben Chlaus, der vorbeikam. Damals dachten die Kinder vermutlich, der gute Mann sei ein obdachloser Alkoholiker, da wir immer die letzten auf seiner Tour waren, und er zuvor offensichtlich schon in jedem Haushalt einen Schnaps angboten bekam – und jeden davon dankend annahm.

Am Ende wankte er zur Tür hinaus, mit der Bemerkung, er habe keine Ahnung, wo er jetzt hingehe. Da ahnte mein Nachwuchs vermutlich schon, dass da etwas nicht ganz stimmen kann. Den Todesstoss erhielt die Samichlaus-Mär dann, als er sich vor der Haustür den Bart vom Gesicht riss und sich in unseren Garten übergab, bevor er in ein Taxi stieg. Das war das letzte Mal, dass ich ihn aus der Nähe sah, den Samichlaus. Und wisst ihr was? So richtig nachtrauern tu ich ihm nicht.

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Familienbloggerin Sandra C.
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Von Sandra Casalini am 5. Dezember 2020 - 07:09 Uhr