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Der ganz normale Wahnsinn

Die Generation, die nichts richtig macht

Die heutige Elterngeneration steht unter besonders grossem Druck. Politiker, Nachbarn und Bekannte sorgen sich um die lieben Kleinen, die von ihren Eltern auf der einen Seite vernachlässigt und auf der anderen masslos verwöhnt werden. Dabei zeigt ein Blick auf aktuelle Studien: Alles Quatsch. Wir machen verdammt viel richtig.

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Sandra Casalini Blog der ganz normale Wahnsinn

Unsere Bloggerin gehört zu der Generation, die Kinder, Küche und Karriere meistert. Mal besser, mal schlechter.

Lucia Hunziker

Als ich zur Welt kam, war für meine Mutter ganz klar, was sie zu tun hatte. Selbstverständlich würde sie mich natürlich gebären, ohne Schmerzmittel, und danach würde sie mich stillen. Maximal ein Jahr, nicht länger. Ich schlief in meinem eigenen Bett, die Nacht im Elternbett zu verbringen, war eine Ausnahme. Natürlich blieb sie nach der Geburt der Kinder zu Hause, mein Vater verdiente ja halbwegs genug, um uns zu ernähren.

Die wenigen Krippen und Horte, die es gab, wurden vorwiegend von alleinerziehenden Müttern genutzt. Man hatte Mitleid mit den Kindern, die dahin mussten. Und mit den Schlüsselkindern. Denen mit dem Hausschlüssel um den Hals, weil beide Elternteile arbeiten musste und ihnen nach der Schule keinen Zvieri machten und sagten, sie müssten zuerst die Hausaufgaben erledigen, bevor sie raus dürfen.

Die gesellschaftlichen Sktrukturen waren früher klar

Die Regeln, die in der Familie gelten sollten, waren klar und weitum so akzeptiert. Zwar hatten die Kinder ein gewisses Mitspracherecht, der Entscheid lag aber immer bei den Eltern. Bei Nichteinhalten der Regeln gab es klare Konsequenzen. Ich staunte immer, wenn ich bei Freunden aus anderen Kulturkreisen war, bei denen Tag und Nacht der Fernseher lief. Die von der Schule kamen, Schoggi assen und den TV anstellten, weil eh niemand zu Hause war. Die sich am Kühlschrank bedienten, ohne zu fragen. Das wäre bei mir zu Hause ein totales No-Go gewesen.

Um kein falsches Bild zu zeichnen: Ich hatte eine tolle Kindheit mit liebevollen Eltern, die nicht strenger waren als andere. Sie hielten sich in der Erziehung einfach an die relativ klaren gesellschaftlichen Strukturen, die damals herrschten. Und nein, geschadet hat es mir nicht.

«Es würde immer jemanden geben, der mich kritisierte, angriff, verunsicherte, mir Steine in den Weg legte.»

Als ich Mutter wurde, waren die Regeln nicht mehr ganz so klar. Wassergeburt, PDA, Kaiserschnitt? Stillen oder nicht? Und wenn ja, wie lange? Arbeit oder zu Hause bleiben? Krippe oder Tagesmutter? Wir hatten die Wahl – zugegebenermassen auch, weil wir uns diese finanziell leisten konnten. Die Krux an diesen Wahlmöglichkeiten: Ich konnte es gar nicht richtig machen. Es würde immer jemanden geben, der mich kritisierte, angriff, verunsicherte, mir Steine in den Weg legte. Denn so sehr all diese Möglichkeiten gesellschaftlich akzeptiert schienen, so war es eigentlich keine davon.

Unsere Kids sind viel besser, als wir es waren

Das galt und gilt besonders für die Erziehung der Kinder. Wir sind die Generation der Eltern, die nichts richtig machen kann. Wir sollen unseren Kindern auf Augenhöhe begegnen, aber wehe, wir setzen ihnen zu wenig Grenzen. Wir sollen unsere Kinder unterstützen, aber wehe, wir nehmen ihnen zu viel ab. Wir sollen unsere Kinder zu selbstständigen Erwachsenen erziehen, aber wehe, wenn sie sich nicht in eine Schublade stecken lassen. Wohin das führt? Zu einer ganzen Generation von Müttern und Vätern, die im Prinzip ständig ein schlechtes Gewissen hat.

Damit können wir jetzt aufhören. Denn aktuelle Umfragen sagen: unsere Kids sind viel besser, als wir es waren. So hat sich der Konsum von Alkohol, Zigaretten und Cannabis unter Jugendlichen stark verringert. Haben noch Mitte der Neunziger – also als ich noch so halbwegs pubertierte – über 20 Prozent der 15-jährigen Buben geraucht, sind es heute keine 10 Prozent mehr. In Deutschland ist der Alkoholkonsum der 12- bis 17-Jährigen auf einem historischen Tiefstand. Gerade mal 8,7 Prozent trinken wöchentlich Alkohol, 2004 waren es noch 21.2 Prozent. (Im Gegensatz dazu zeigen Erhebungen aus Berlin, dass 45 Prozent der Senioren ab 65 Jahren zu viel Alkohol trinken!)

Wir kämpfen gegen Netflix, Fortnite, Instagram

Klar, wir kämpfen heute gegen andere Dämonen. Sie heissen Netflix, Fortnite, Instagram. Sie machen uns Angst, weil wir sie nicht verstehen. Nicht die Kanäle an und für sich, sondern ihre Bedeutung für unsere Kinder. Wir verstehen nicht, warum es so wichtig ist, am Samstag um 15 Uhr online zu sein, weil man nur dann einen bestimmten Fortnite-«Skin» kaufen kann. So wie unsere Eltern nicht verstanden haben, wie wichtig es war, am Samstag um 15 Uhr vor dem TV zu sitzen, um keine Folge von «Beverly Hills 90210» zu verpassen. Familienfest hin oder her. Insofern hat sich also gar nicht so viel geändert.

«Und jetzt, liebe Mütter und Väter von heute, klopfen wir uns alle kollektiv mal auf die Schultern und sagen: Wie immer wir das auch machen, wir machens schon gut.»

Meine Tochter wird bald fünfzehn. Ich will nicht in die Details gehen, aber ich habe in ihrem Alter sehr viel häufiger über die Stränge geschlagen als sie. Und ich war kein besonders wilder Teenager. Aber ich war ganz bestimmt nicht so fokussiert und auch nicht so selbstbewusst wie sie. Ich würde also sagen, ein bisschen was habe ich sicher richtig gemacht.

Und jetzt, liebe Mütter und Väter von heute, klopfen wir uns alle kollektiv mal auf die Schultern und sagen: Wie immer wir das auch machen, wir machens schon gut. Wer mag, kann auch noch den einen oder anderen Erziehungsratgeber verbrennen. Und dann gehen wir, und schnippeln dem Kind Äpfel und Gurken. Oder schmieren ihm ein Nutellabrot. Oder sagen ihm, es soll sich sein Brot selbst schmieren. Halt einfach so, wie wir das für richtig halten. Denn das ist gut so.

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Von Sandra Casalini am 31. Mai 2019 - 17:29 Uhr