Kürzlich beschrieb ich an einem Blog an anderer Stelle das Puff im Zimmer von Kind 2. Worauf postwendend Kommentare kamen, das Kind sei schlecht erzogen, wenn es mit 16 nicht imstande sei, sein Zimmer aufzuräumen.
Nun, das Kind ist total imstande, sein Zimmer aufzuräumen, es ist einfach sehr selten willens. So wie ich in seinem Alter auch, und ich wage mal zu behaupten, das gilt für die meisten von uns. Nun habe ich als seine Erziehungs-Verpflichtete absolut keine Lust, ihn täglich zum Aufräumen zu nötigen, und ich sehe auch nicht, warum ich das tun sollte – es muss in dem Schlag wohnen, nicht ich. Zudem kenne ich das Kind nach 16 Jahren Erziehung tatsächlich so gut, dass ich weiss, dass es auch ihm irgendwann zu bunt wird (spätstens wenn es was Wichtiges sucht oder keine sauberen Socken mehr hat), und es dann voll selbstständig aufräumt.
Ich weiss nicht genau, was ich davon halten soll, dass wir hierzulande Kinder aufgrund ihres Verhaltens in einzelnen Situationen – zum Beispiel dem Klassiker, dem Täubeln an der Supermarktkasse – sofort als schlecht erzogen abstempeln. Nun, auf jeden Fall scheinen wir ein sehr genaues Bild davon zu haben, wie gut erzogene Kinder sind: Ruhig, höflich, anständig, ordentlich. So sind laut Umfragen Eltern denn auch vor allem Werte wie Anstand, Ehrlichkeit oder Pünktlichkeit wichtig.
Daran ist nichts falsch. Für mich stünden einfach ganz andere Dinge zuoberst auf dieser Liste. Vertrauen in sich selbst, sein Umfeld und die Welt im Allgemeinen zum Beispiel. Oder gesunder Menschenverstand. Vielleicht liege ich ja falsch, aber ich hab das Gefühl, man kommt damit weiter als mit ständigem Anstand und bedingungsloser Ehrlichkeit.
«Mir war und ist die Beziehung zu meinen Kindern immer mehr Wert als ihre Erziehung. Und ich glaube, behaupten zu können, dass ich damit nicht so schlecht gefahren bin.»
Beim Googeln danach, was denn gute Erziehung eigentlich ist, kommt an vorderster Front immer wieder Regeln und Grenzen setzen. Auch daran ist nichts falsch. Ich finde einfach zum Beispiel Zuhören, Kommunizieren und Interesse am Kind und seiner Lebenswelt zeigen noch einen Ticken wichtiger. Mir war und ist die Beziehung zu meinen Kindern immer mehr Wert als ihre Erziehung. Und ich glaube, behaupten zu können, dass ich damit nicht so schlecht gefahren bin.
Kind 2 mag nicht die ordentlichste Person dieses Planeten sein (wie soll es auch, ohne entsprechende Vorbilder zu Hause?). Aber es ist freundlich, hilfsbereit, zuverlässig und hält sich – im Gegensatz zu einigen seiner Kumpels – von Ärger fern. Gesunder Menschenverstand, würd ich das nennen. Es mag sich nicht immer ganz an alle Regeln halten, die einem mit 16 so auferlegt werden (sowohl gesellschaftlich als auch im Alltag). Aber es weiss, dass es in jeder Situation Menschen gibt, denen es vertrauen kann, egal was ist. Und dass diese Menschen im Gegenzug wissen, dass sie ihm vertrauen können.
Ich habe bestimmt nicht alles richtig gemacht in seiner Erziehung. Zum Glück. Wer will schon ein ruhiges, ordentliches, anständiges Kind, das sich ständig an alle Regeln hält? Ich nicht. Aber sagt ihm das nicht.