Auf dem Schreibtisch von Kind 1 stapelt sich die Post. Von der Gemeinde, vom Staat, vom Kanton, von der Schule. Auch wenn die wichtigsten Rechnungen immer noch ich übernehme, seit seinem 18. Geburtstag läuft die Kommunikation über das Kind selbst. Abstimmungsunterlagen, Schreiben von Versicherungen, und die Steuererklärung. Demnächst kommt das Kind aus dem Ausland zurück, und ich sehe es schon verzweifelt vor diesem Haufen sitzen. Denn schon als es auf die Volljährigkeit zuging, war für das Kind klar: «Ich habe keine Ahnung, was auf mich zukommt.» Dadurch, dass es noch zur Schule geht und nichts verdient, besteht zwar noch eine Art Welpenschutz. Trotzdem. Steuererklärung ausfüllen? Null Ahnung. Abstimmungsunterlagen studieren? Kein Plan. Versicherungen, Krankenkasse und dergleichen? «Woher soll ich das wissen?»
Das ist die grosse Frage. Woher soll das Kind das wissen? Ich bin zwar der Meinung, dass ich es durchaus zu einer gewissen Selbstständigkeit erzogen habe. Es weiss auch, warum man Steuern zahlt. Wie man dies konkret tut, weiss es nicht. Denn die Schule legt den Fokus offenbar auf anderes. Vokabeln und Regeln auswendig lernen zum Beispiel.
«Ich kenne hundert Grammatikregeln und habe gelernt, ein Bewerbungsschreiben nach Schema F zu verfassen», sagt Kind 2, das im Sommer die Schule abschloss. Sobald es ein Mail beantworten muss, das nicht nach bestimmten Regeln funktioniert, wirds schon schwierig. Noch schwieriger wirds mit Fremdsprachen – etwas von dem, was ich an der Schule ja für wirklich sinnvoll halte. Dass Kind 2 nach fünf Jahren (!) Französischunterricht keine halbwegs sinnvolle Konversation führen kann, finde ich verheerend. Aber hey, es hat mal für eine Prüfung Sätze wie «Le martinet noir est une espèce d'oiseau de la famille des martinets. Il ressemble aux hirondelles» auswendig gelernt. («Der Mauersegler ist eine Vogelart aus der Familie der Segler. Er ähnelt den Schwalben.»). Also wenn man das nicht fürs Leben braucht, weiss ich auch nicht …
Man verstehe mich nicht falsch, ich finde die Schule wichtig und das meiste, das gelehrt wird, nötig. Aber Schule und Leben, das sind irgendwie zwei verschiedene Dinge. Und müsste die Schule die Kinder nicht wenigstens ein bisschen aufs Leben vorbereiten? Oder ist das einzig und allein Sache der Eltern?