Irgendwie könnte ich im Moment ständig heulen. Dabei bin ich grad nicht sicher, was ich schlimmer finde: dass Kind 1 jetzt offiziell erwachsen ist, oder dass Kind 2 seines Praktikums wegen die Hälfte der Woche nicht mehr zu Hause wohnt.
Das Leben ist ja so oder so ein einziges Paradox, und ich habe das Gefühl, Kinder verstärken dieses noch. Man plangt so fest auf all diese Meilensteine hin – feste Nahrung, laufen, reden, Windelfreiheit, Schule, Schulabschluss – und wenn sie dann hier sind, wünscht man sich die guten alten Zeiten zurück. Wie oft hätte ich mir gewünscht, man könnte sie einfach wieder aufheben und im Kinderwagen anschnallen. Beim gefühlt siebenundvierzigsten WC-Stopp auf dem Weg in die Ferien wünscht man sich auch mal die Windeln zurück. Und wenn man zum vierten Mal innerhalb von zwei Wochen vor der Lehrerin sitzt, und nicht weiss, man sagen soll, weil mans echt nicht so schlimm findet, dass das eigene Kind ein anderes mit Kugelschreiber angemalt hat, träumt man nicht nur nachts von den Vor-Schul-Zeiten.
Ich weiss nicht, wer von uns sich mehr darauf gefreut hat, dass dieser Schul-Stress endlich zu Ende ist, Kind 2 oder ich. Und jetzt, wo es soweit ist, habe ich mit der obligatorischen Schulpflicht auch irgendwie das Prädikat Kind begraben. Ich seh plötzlich Haare im Gesicht, wo ich schwören könnte, dass vor ein paar Wochen noch keine waren. Und keine Haare mehr auf dem Kopf, wo vor Kurzem noch rote Locken wucherten. Und gerade noch hat das Kind geweint, wenn es ein paar Tage zum Grosi sollte (voll gelogen, Kind 2 hatte nie ein Problem damit, auswärts zu schlafen, aber sonst geht dieser Text nicht auf) ... also, gerade noch geweint und so, und jetzt zieht es für die Hälfte der Woche aus für ein Praktikum zwei Autostunden weg von zu Hause. Und ich hab mir geschworen, mich zusammenzureissen und nicht ständig dort aufzutauchen.
«Wie wird das jetzt, wo es meine Unterschrift nicht mehr braucht? Für nichts? Kommt es jetzt mit irgend einem hässlichen Tattoo nach Hause, das es in ein paar Wochen bereut und wünscht, ich hätte es ihm verboten?»
Und dann Kind 1. Ich hab mal kurz nicht aufgepasst, und schon ist es achtzehn. Erwachsen. Wie oft hab ich mir in den vergangenen Jahren gewünscht, das Kind müsste mal selbst gerade stehen für den Scheiss, in das es sich reinreitet. Ich hab die Zahl grad nicht im Kopf, aber die Anzahl der Absenz-Stunden, die ich vor den Sommerferien zähneknirschend unterschrieb, war ziemlich hoch. Wie wird das jetzt, wo es meine Unterschrift nicht mehr braucht? Für nichts? Kommt es jetzt mit irgend einem hässlichen Tattoo nach Hause, das es in ein paar Wochen bereut und wünscht, ich hätte es ihm verboten? Mit Augenbrauen-, Zungen-, Brustwarzenpiercings, die schlimme Entzündungen auslösen, und es landet auf dem Notfall? Oh mein Gott! Das Kind hat doch keine Ahnung vom Leben!
Muss es auch nicht. Aber jetzt fängt das Lernen an. Kind 1 lernt Schritt für Schritt, sich in der Erwachsenenwelt zu behaupten. Kind 2 lernt Schritt für Schritt, in der Berufswelt zu bestehen. Und ich lerne mit jedem ihrer Schritte, loszulassen. Und ich bin voll gut darin. Ehrlich.