Meine Tochter ist fünfzehn. Sie geht zur Schule, macht Hausaufgaben, trifft sich mit Freundinnen, feiert auch gern mal eine Party. Und sie singt. Gern und gut. Sie steht ab und zu mal auf einer Bühne, hat auch schon bei grösseren Musical-Produktionen mitgemacht oder nahm eigene Songs in einem Musikstudio auf.
Und sie liebt Castingshows. Die Diskussion, ob sie sich bei «The Voice Kids» oder «Das Supertalent» bewerben darf, führen wir seit Jahren. Meine Antwort: Nein. Weil ich finde, dass sie zu jung ist, um die Konsequenzen abschätzen zu können, wenn sie dermassen ausgestellt wird. (Wenn es denn überhaupt so weit käme).
«Greta muss die Konsequenzen dafür tragen, dass sie dermassen im Rampenlicht steht. Von Kritik über Hass bis hin zu Todesdrohungen. Ob es das ist, was ihre Eltern für sie wollten?»
Auch Greta Thunberg war fünfzehn, als sie zum ersten Mal vor dem schwedischen Parlament fürs Klima streikte. Weder sie noch ihre Eltern konnten damals ahnen, was aus dieser Aktion werden würde. Heute gehen Millionen von Leuten jeden Freitag weltweit auf die Strasse. Greta spricht vor und mit den mächtigsten Leuten der Welt, ziert Titelseiten, heimst Preise ein. Sie hat die Schule unterbrochen, ist kaum zu Hause und hat einen Terminkalender wie eine Spitzenmanagerin.
Und: Greta muss die Konsequenzen dafür tragen, dass sie dermassen im Rampenlicht steht. Von Kritik über Hass bis hin zu Todesdrohungen. Ob es das ist, was ihre Eltern für sie wollten? Bestimmt nicht. «Vielleicht hätte ich besser ein Kochbuch geschrieben», sagte ihre Mutter Malena Ernman mal in einem Interview. Ihr Buch – verfasst im Namen der ganzen Familie – heisst aber «Szenen aus dem Herzen. Unser Leben für das Klima.» Und nein, sie verdient kein Geld damit, der Erlös geht an Umwelt-Organisationen. Einfach damit das noch gesagt ist.
«Den Vorwurf, Greta sei ein «Sprachrohr» ihrer Eltern oder irgend einer PR-Maschinerie, lasse ich nicht gelten.»
Aber ja, ihre Eltern tragen eine «Mitschuld» daran, wie alles gekommen ist. Und ich gebe zu, die Tatsache, dass beide mehr oder weniger erfolgreich das Rampenlicht gesucht haben – sie als Opernsängerin, die Schweden 2009 am ESC vertrat, Vater Svante als Schauspieler, Produzent und Autor – gibt dem Ganzen einen leicht säuerlichen Beigeschmack.
Trotzdem: Den Vorwurf, Greta sei ein «Sprachrohr» ihrer Eltern oder irgend einer PR-Maschinerie, lasse ich nicht gelten. Warum sollte das so sein? Weil Kinder nicht selbst denken können? Oder keine eigene Meinung haben?
Dem ist nicht so. Ich weiss aus eigener Erfahrung, dass Kinder in dem Alter oft sehr viel mehr denken als Erwachsene. Und von ihrer Meinung lassen sie sich erst dann abbringen, wenn man ihnen glasklar das Gegenteil beweist. Greta Thunberg sieht ihren Kampf fürs Klima als ihre Mission. Und ihre Eltern unterstützen und fördern sie dabei.
«Wäre Greta meine Tochter - ich hätte längst die Reissleine gezogen!»
Wäre Greta meine Tochter, wäre ich unglaublich stolz auf ihren Einsatz, ihre Klugheit, ihre rhetorischen Fähigkeiten, ihren Mut, ihren Stolz, ihre Unbeirrtheit. Und ich hätte längst die Reissleine gezogen und sie zurück nach Hause geholt. Aus Angst. Angst davor, genau das zu tun, was Greta unserer Generation vorwirft. «Ihr habt mir meine Jugend geraubt», schleuderte sie vor kurzem erbost der Welt entgegen. Und ich kann mir nicht helfen, mich zu fragen, ob sie genau diesen Satz in zehn Jahren ihren Eltern an den Kopf wirft. «Ihr habt mir meine Jugend geraubt. Hass und Todesdrohungen statt Freundinnen und Partys. Und ihr habt nicht nur zugesehen, sondern es auch noch gefördert.»
Aber: «Niemand kann den Klimawandel allein herbeiführen – aber eine Stimme kann eine Kettenreaktion auslösen», sagte Malena Ernman in einem Interview. Greta Thunberg ist diese Stimme. Vielleicht wird sie tatsächlich in die Geschichtsbücher eingehen als das mutige Mädchen, das alles veränderte. Wäre ich ihre Mutter – ich hätte das verhindert. Um ihretwillen. Ihre Eltern tun das nicht. Um die Welt zu verbessern, in der sie als Erwachsene leben wird? Wer weiss.
Mehr von Familien-Bloggerin Sandra C. lest ihr hier.