Meine Tochter wurde kürzlich Zeugin einer Prügelei. Eine Gruppe Jugendlicher ging auf einen Jungen los, schlug auf ihn ein, klaute seinen Rucksack und haute ab. Seither ist ihr, verständlicherweise, öfter mal unwohl, wenn sie zum Beispiel in der Dämmerung auf den Bus warten muss.
914 Teenager wurden 2020 im Kanton Zürich wegen eines Gewaltdelikts angezeigt. Das sind 6,7 Prozent mehr als im Jahr zuvor. Tendenz steigend. Laut einer Analyse der Oberjugendanwaltschaft sind die Täter fast immer männlich – nur gerade 14 Prozent sind Mädchen – und im Schnitt 16 Jahre alt. In über der Hälfte der Fälle gingen sie in Gruppen aufeinander los und nicht selten war Alkohol im Spiel. Dass viele von ihnen Probleme im Elternhaus haben, überrascht nicht. Ein Fakt ist allerdings auffallend: Viele der Eltern dieser jugendlichen Gewalttäter sind in Branchen tätig, die stark von den Corona-Massnahmen betroffen sind.
«Die Kids sind eh schon frustriert, wenn sie dann zu Hause noch auf frustrierte Eltern treffen, kumuliert sich das Ganze»
Nun wäre es sicher zu einfach, ausschliesslich Covid die Schuld an der Gewaltzunahme unter Jugendlichen zu geben. Aber dass die Pandemie diese Situation noch verschärft, ist unbestritten. Die Kids sind eh schon frustriert, wenn sie dann zu Hause noch auf frustrierte Eltern treffen, kumuliert sich das Ganze.
Nun bin ich ja, Gott sei Dank, weit weg von einer solchen Situation. Aber ich merke zum Beispiel, dass die Umstände meinen Sohn härter treffen als meine Tochter. Das liegt zum einen daran, dass sie ans Gymnasium geht und dementsprechend nicht betroffen ist von Dingen wie Angst vor Lehrstellenverlust. Mein Sohn hingegen ist in der Phase, wo er sich für eine Lehre entscheiden sollte, und Schnuppern fällt einfach vielerorts flach. Wo sollte er auch, wenn alle im Homeoffice sind? Das ist, verglichen mit einigen seiner Freunde, die keine Lehrstelle finden, Lehrstellen verlieren, plötzlich arbeitslose Eltern haben, denen sie nichts recht machen können, und die Schulnoten nur noch bergab gehen, ein sehr kleiner Frust.
Trotzdem kann ich mir vorstellen, dass da, wenn die dann alle gemeinsam irgendwo abhängen, und vielleicht aus purer Langeweile, oder Cool-sein-Wollen oder Ärger über die letzte Mathenote, noch ein Bier kippen, und dann kommt einer, der sie provoziert, halt schnell mal die Fäuste fliegen. Ich habe extrem Respekt davor, dass mein Sohn in sowas reingerät, obwohl er überhaupt nicht dem typischen Täterprofil entspricht. Verhindern kann ichs nicht. Ich kann nur hoffen, dass er, falls es mal so weit kommt, seinen Grips benutzt und sich möglichst schnell vom Acker macht. Und dass diese Situation, die gerade für Teenies so viel Frustpotenzial birgt, bald besser wird.