Kind 2 hat kürzlich ein Schreiben von der Schweizer Armee erhalten – ein Aufgebot zu einer obligatorischen Informationsveranstaltung. Das Kind schmeisst mir den Brief hin. «Was ist das?», frage ich. «Vom Militär», sagt mein Sohn. «Und was steht da drin?» – «Keine Ahnung.» – «Echt jetzt? Kannst du das Ding nicht mal selbst lesen? Sehr verwunderlich.»
Es ist nämlich nicht so, dass meine Kinder total unselbstständig sind. So reist Kind 1 mit Vorliebe durch die Weltgeschichte, organisiert Flüge, Zug- Hotel- und Event-Tickets für ihre gesamte Freundesgruppe, ist jederzeit rechtzeitig am richtigen Ort, auch wenn das morgens um 6 Uhr am Flughafen ist. Rechtzeitig zur Schule zu kommen ist hingegen regelmässig ein Problem. Und wenn während der Woche mal ein Zug ausfällt oder man beim Umsteigen länger als zehn Minuten irgendwo warten muss, gibt es keine andere Lösung, als Mama anzurufen, und mit weinerlicher Stimme zu erklären, dass man zwingend abgeholt werden muss, weil man irgendwo in der Pampa (am Zürcher Hauptbahnhof) gestrandet ist und nicht mehr weiter weiss.
Auch das Kind, das – obwohl des Lesens durchaus mächtig – ein Schreiben der Schweizer Armee direkt seiner Mutter hinwirft, «weil ich da eh nicht drauskomme», erweist sich in anderen Situationen als erstaunlich selbstständig. So konnte es nur Tage zuvor ein Motorrad erwerben, dieses innert kürzester Zeit beim Strassenverkehrsamt anmelden und eine Versicherung dafür abschliessen. Alles allein. Fazit: meine Kinder sind schon selbstständig – einfach sehr selektiv.
«Wenn ich mich nicht aktiv eingeschaltet hätte, hätte das Kind bis heute keine Lehrstelle»
Nun mag man denken, dass man als Mutter halt einfach mal die Hilfe verweigern und das Kind die Konsequenzen tragen lassen soll. Das stimmt – allerdings betreffen die Konsequenzen eben öfter nicht nur das Kind, sondern auch einen selbst. Klar kann man die junge Frau auch mal eine halbe Stunde in der HB-Pampa warten lassen. Wenn der junge Mann allerdings nicht am Infotag der Armee erscheint, muss er nicht nur eine Busse bezahlen, sondern kriegt unter Umständen auch sonst noch Puff, zum Beispiel im Lehrbetrieb, und darauf hab ich keinen Bock.
Es war nämlich schon schwierig genug, eine Lehrstelle zu finden. Weil, liebe «Fachpersonen»: Ihr könnt lange predigen, man soll dem Kind nicht zu fest helfen bei der Lehrstellensuche, höchstens mal ein Motivationsschreiben oder einen CV korrigieren. Fakt ist, in meinem Fall: Ich hab gar nie solche Schreiben gesehen. Und wenn ich mich nicht aktiv eingeschaltet hätte, hätte das Kind bis heute keine Lehrstelle. Wobei auch das Konsequenzen hat für mich. Hätte ich meinem Sohn nämlich keine Lehre aufgezwungen, wäre er schon lange reich durch Internet-Handel und hätte mir ein Haus und ein Auto gekauft. So hats halt nur für einen Töff für ihn selbst gereicht.