Als ich zur Schule ging, war Religion Teil des Stundenplans. Man war katholisch oder reformiert, was lediglich hiess, dass man sonntags in eine andere Kirche ging, wenn überhaupt. Es gab auch ein paar muslimische Kinder, die waren vom Religionsunterricht befreit. Ein Mädchen kam mit Kopftuch zur Schule, gestört hat das nie jemanden. Wir brachten das damals noch nicht mit Terroranschlägen und Extremisten in Verbindung. Das tun meine Kinder übrigens heute auch nicht. Wenn die muslimische Freundin meiner Tochter bei uns ist, gibts eben keine Cervelat und keine Salami. Und als mein Sohn neulich beim Einkaufen eine Frau mit Kopftuch freundlich grüsste, erklärte er mir auf mein Nachfragen, das sei die Mutter eines ehemaligen Kindergarten-Gspänlis. Die habe immer so ein Kopftuch an, weil man das eben so mache in dem Land, wo sie herkommen.
Für Kinder ist Religion einfach. Für Eltern ist sie komplizierter denn je. Angefangen bei der Frage, ob man seine Kinder überhaupt taufen lassen möchte. Als meine Tochter vor etwas über zehn Jahren zur Welt kam, gab es einiges an Stirnrunzeln, als ich bekannt gab, dass wir sie katholisch taufen lassen. «Das Kind soll später einmal selbst entscheiden», war damals der Slogan der Stunde. Ja, das fand ich auch - und finde es auch heute noch. Nur kann sich das Kind nicht für oder gegen etwas entscheiden, das es nie kennengelernt hat. Dass meine Kinder in der 1. Klasse zum katholischen Unterricht angemeldet wurden, war deshalb klar für mich - immer mit der Option, dass sie wieder aufhören können, wenn sie keine Lust mehr haben. Religionsunterricht ist heutzutage nämlich freiwillig, und nicht mehr Sache der Schule, sondern Sache der Kirchen. In der Schule gibts mittlerweile ein Fach namens «Mensch und Umwelt», in das auch das Wissen über diverse Religionen und Kulturen einfliessen soll. Meine Tochter lernt in dem Fach gerade, wie man Schokolade herstellt. Ist ja auch viel gfreuter. Und vermutlich auch besser, als einer Klasse von Viertklässlern mit diversen Migrationshintergründen zu erklären versuchen, warum Muslime bei uns trotz Religionsfreiheit ihre Kirchen nicht mehr bauen dürfen, und was genau nun der Unterschied ist zwischen der Bibel und dem Koran. (Ich habe weder das eine noch das andere vollständig gelesen, deshalb mute ich mir kein Urteil an. Und da dies vermutlich auf 90 Prozent der Schweizerinnen und Schweizer ebenfalls zutrifft, bin ich erstaunt, wie viele Leute Herrn Thiel trotz Unwissen reine Provokation unterstellen. Auch wenn ich öffentliches Koran-Bashing mehr als unnötig finde. Dies nur am Rande.)
Jedenfalls gibt es immer wieder Situationen, in denen mir bewusst wird, dass das religiöse Er- und Aufklären in erster Linie bei uns Eltern liegt. Dabei habe ich eines gemerkt: Im Grunde können wir Erwachsenen von den Kindern viel mehr lernen als sie von uns. Während wir nämlich vor allem die Unterschiede sehen - die immer wieder als Ausrede für fast jeden Krieg auf dieser Welt herhalten müssen - sehen sie die Gemeinsamkeiten. «Alle glauben an Gott», stellte meine Tochter lapidar fest, nach meinen wieder einmal eher hilflosen Erklärungsversuchen betreffend Christentum, Islam und Judentum. Ob Jesus sein Sohn oder Mohammed sein Prophet war («sein was? Trompeter?») interessiert sie null. Ihre muslimische Freundin tut ihr leid, weil sie an Weihnachten keine Geschenke bekommt, aber sie habe je eh schon so viel Zeugs. Und wer auf die Idee komme, sich wegen einem Buch zu streiten, sei ja wohl nicht ganz bei Trost.
Dem habe ich nichts hinzuzufügen. Meinem Jüngsten geht das gesamte Thema übrigens am Allerwertesten vorbei. Den Religionsunterricht mag er, weil sie da singen und zeichnen und er mit seinen Freunden Panini-Bilder tauschen kann - und seine heilige Dreifaltigkeit anbeten: Neymar, Messi und Ronaldo. Gelernt hat er offenbar nicht mal die Basics. «Wer hat an Weihnachten Geburtstag?», fragte ich ihn kürzlich. «Der Samichlaus!» Oh je, setz dich, Sohn. Vergessen wir den Trompeter Mohammed und fangen mal bei Adam und Eva an...