Sprachlos sitze ich vor dem Bildschirm, über den die «Swiss Music Awards» flimmern. Ich weiss nicht, was ich schlimmer finde. Loredanas Auftritt oder ihre Dankesrede, als sie zum «Best Breaking Act» gekürt wird. Dafür, dass sich das Talent der Luzerner Rapperin meiner Meinung nach in engen Grenzen hält, finde ich sie reichlich respektlos und überheblich.
Meine Tochter interessiert sich nicht für Loredana Zefi, 24, trotz ihres Erfolges. Das hat einen ganz einfachen Grund: sie kann sich nicht mit ihr identifizieren. Sie ist nicht, wie Loredana, mit neun älteren Geschwistern in einer kleinen Wohnung in einem Hochhaus aufgewachsen. Sie musste sich nicht jedes Fitzelchen Aufmerksamkeit hart erkämpfen. Im Gegenteil. Sie hatte und hat vermutlich zu viel davon. So wie jedes Kleinfamilien-Kind aus der Mittel- und Oberschicht in der heutigen Zeit.
So wie Greta Thunberg, 17, die sich am anderen Ende des Spektrums der Vorbilder unserer Töchter tummelt wie Loredana. Die schwedische Klimaaktivistin mit Asperger-Syndrom, in der Schule gemobbt, bis sie etwas fand, bei dem es nicht um sie geht. Bei dem sie die ihr unangenehme Aufmerksamkeit in den Dienst einer höheren Sache stellen kann. Und so zum Idol von Millionen wird.
«Und - das mag jetzt vermutlich noch bizzarrer klingen – ganz am Ende vermitteln sie den Mädchen die genau gleiche Botschaft: Ihr könnt alles! Nicht obwohl, sondern gerade weil ihr Mädchen seid.»
Das mag jetzt bizarr klingen, aber so unterschiedlich sind Greta und Loredana gar nicht, zumindest was ihre Rolle als Vorbilder für junge Mädchen angeht. Beide holen ihre Anhängerinnen dort ab, wo sie sind. Die eine auf dem Pausenplatz des Gymnasiums, in dem sie gerade einen Film über die Abholzung der Regenwälder gesehen haben. Die andere in engen Wohnungen eines Vorortes, wo sie gerade vom älteren Bruder eine blutige Nase verpasst bekamen. Und – das mag jetzt vermutlich noch bizzarrer klingen – ganz am Ende vermitteln sie den Mädchen die genau gleiche Botschaft: Ihr könnt alles! Nicht obwohl, sondern gerade weil ihr Mädchen seid.
Greta Thunberg
Ihr könnt als Siebzehnjährige mit Zöpfen den mächtigsten Männern dieser Welt die Stirn bieten, nicht nur das: sie sogar in ihre Schranken weisen. Nutzt eure Bildung, nutzt euren Verstand, und lasst euch nicht von denen beirren, die finden, die Welt funktioniere als Patriarchat besser. Ihr könnt sie ändern.
Ihr könnt alles! Ihr könnt es rausschaffen aus diesem Hochhaus. Ihr könnt auf eigenen Beinen stehen. Ihr könnt euren Töchtern eine bessere Ausgangslage verschaffen, als ihr sie hattet. Und auch wenn euer Horizont nicht über den nächsten Fendi-Shop hinaus reicht und euer Lebenstraum eine schicke Sonnenbrille ist – verdient sie euch selbst, verdammt nochmal.
«Die Chance, dass ihre Mütter diese Mädchen aus dem Hochhaus emanzipieren, ist gering. Diejnige, dass jemand wie Loredana das tut, ist hingegen gar nicht so klein.»
Natürlich eignet sich jemand, der wie Loredana in kriminelle Machenschaften verwickelt sein soll, grundsätzlich nicht als Vorbild. Aber die Kinder suchen sich ihre Vorbilder selbst aus. Die Chance, dass ihre Mütter diese Mädchen aus dem Hochhaus emanzipieren, ist gering. Diejnige, dass jemand wie Loredana das tut, ist hingegen gar nicht so klein. Und das ist immerhin etwas.
Mehr von Familien-Bloggerin Sandra C. lest ihr hier.