Was wollt ihr essen?» - «Pizza. Mit Mozzarella, nicht so eine Käsemischung. Mit Schinken und Mais, ohne Salami. Und zum Dessert Fruchtsalat. Mit Ananas, ohne Orangen.» Das ist Kind 1. Und Kind 2: «Irgendöppis wo ich gern han. Nicht so trockenes Fleisch, das ist grusig. Und nicht schon wieder Reis, das gabs gestern. Und Dessert.» - «Was für Dessert?» - «Ischmiregal. Dessert. Wo ich gärn han.»
Dass ich inzwischen halbwegs weiss, was Kind 2 gern hat – Pizza Margherita, Pasta mit Tomatensauce und Wasserglacé, mehr braucht es eigentlich nicht zum Leben – liegt daran, dass ich es in einem sehr aufwändigen Ausschlussverfahren herausgefunden habe. Pasta mit Rahmsauce? Fehlanzeige. Poulet mit Rahmsauce? Doppelte Fehlanzeige. Also zurück zur Pasta. Pasta mit Pestosauce? Fehlanzeige. Pasta mit Tomatensauce? Strike.
«Warum kann das Kind nicht einfach sagen, was es will? Ganz einfach: Weil ers selbst nicht weiss.»
Mühsam! Warum kann das Kind nicht einfach sagen, was es will? Ganz einfach: Weil ers selbst nicht weiss. Er weiss, was er nicht will. Wie soll er bei gewissen Dingen überhaupt wissen, ob er sie will, wenn er nie probiert hat? Und um Neues zu probieren, braucht er einen triftigen Grund. Zum Beispiel, wenn er bei einem Freund isst, und dort nicht alles, was er nicht kennt, naserümpfend zur Seite schieben kann. So hat er schon mehrmals Dinge entdeckt, die er eigentlich ganz gern mag.
Spannend ist, dass dieses Merkmal auch auf der emotionalen Ebene gilt. Kind 1 kommt weinend nach Hause. Sie ist traurig und wütend, weil sie sich mit einer Freundin gestritten hat. Das sagt sie und verschwindet in ihrem Zimmer. Ich lasse sie erstmal, denn ich weiss, dass jetzt weder meine Meinung noch mein Rat gefragt sind. Später bringe ich ihr ein Glas Eistee und frage, ob sie reden will. Sie sagt Ja oder Nein.
Kind 2 kommt weinend nach Hause, rennt wütend in sein Zimmer und schlägt die Türe zu. Ich untersuche den Boden auf Blut und frage durch die Zimmertür, ob er verletzt ist. Auf die Frage, ob ich hereinkommen darf, kommt irgend etwas, das klingt wie «Ischmiregal», also wage ichs. Ein erster Augenschein verrät, dass er nicht schwer verletzt ist, also kann ich ihn noch etwas in Ruhe lassen. Dann beginnt das Ausschlussverfahren. «Bist du traurig?» - «Nein.» - «Wütend?» - «Weiss nicht.» - «Auf wen bist du wütend?» - «Weiss nicht.» - «Freund oder Lehrer?»
Er überlegt, zuckt die Schultern. Gefühlte Stunden später habe ichs herausgefunden: Sein Scooter wurde geklaut. Und wütend ist er vor allem auf sich selbst – weil er vergessen hat, ihn anzuketten. Das weiss er selbst aber erst, nachdem ich ihm gesagt habe, dass weder sein Freund, der den Scooter zuvor noch ausgeliehen hat, noch der Lehrer, der ihm gesagt hat, da könne man wohl nicht viel machen, etwas für seinen Verlust können.
«Das Kind, das so genau weiss, was es will, ist in der Regel eben auch nicht bereit, Alternativen zu akzeptieren.»
Nun könnte man denken, dass das Leben mit Kind 1 sehr viel einfacher ist als mit Kind 2. Das stimmt so nicht. Denn das Kind, das so genau weiss, was es will, ist in der Regel eben auch nicht bereit, Alternativen zu akzeptieren. Während das saloppe «Ischmiregal» von Kind 2 in einer positiven Art und Weise ausgedrückt bedeutet: «Ich kann mir einige Möglichkeiten vorstellen, und alle sind okay für mich.»
Wenns also das eine erwünschte Frühstück von Kind 1 nicht mehr im Kühlschrank hat, ist der Vormittag gelaufen! Kind 2 mag zwar die Frühstücksflocken mit Zimt, die es gestern noch mochte, heute nicht mehr. Aber als Alternative sind sowohl ein Honigbrot oder eins mit Nutella in Ordnung.
Kürzlich war ich mit beiden shoppen. Wir sind an eine Hochzeit eingeladen und sie brauchen Kleider dafür. Kind 2: «Es muss bequem sein. Kein doofes Muster. Keine komplizierten Knöpfe. Kein Gurt. Nicht braun, das habe ich nicht gern. Sonst ist egal. Kann ich jetzt skaten gehen?» Schlichte Hose, gestreiftes Hemd, dazu ein Hut. 15 Minuten. «Geh skaten, wir treffen uns in einer Stunde wieder hier.»
Das war mehr als optimistisch. Denn das Kleid, das Kind 1 wollte und offenbar sehr klar vor ihrem inneren Auge sah, gabs schlicht und einfach nicht. Nirgends. Auch nicht nach 90 Minuten von Laden zu Laden rennen. Wir sind also ohne Kleid wieder nach Hause.
Beziehungsweise gingen wir zuerst noch essen. Kind 1 zum Kellner: «Spaghetti mit Rahmsauce. Aber die dicken Spaghetti, nicht die dünnen. Ohne Pilze. Und mit nur ganz wenig Parmesan.» Kind 2: «Pasta mit Tomatensauce.» - «Welche Pasta?» - «Ischmiregal.»
Auch bei uns fällt der Apfel nicht weit vom Stamm. Eines dieser Kinder ist in dieser Hinsicht genau wie seine Mutter. Welches? Ratet mal.
Mehr von Familien-Bloggerin Sandra C. lest ihr hier.