Kennen Sie das beklemmende Hass-Gefühl, das sich über den Magen legt, wenn man aus dem Tram aussteigen muss, aber die Einsteigenden den Weg richtig dumm versperren? Genau dieses Gefühl überkommt mich, wenn mich jemand fragt, woher ich denn komme. Es geht wohl nicht nur mir so, denn auf Twitter wird unter dem Hashtag #vonhier seit einer Weile rege darüber diskutiert.
Dabei regen sich vor allem Twitter-Trolle über die Leute auf, die betroffen sind und sich via Hashtag über die Frage «Woher kommst du?» beschweren. Man solle doch nicht so empfindlich tun, man frage ja nur aus Interesse, etc. bla bla. Ich finde es auch ultra unangebracht, wenn mir jemand diese Frage stellt. «Ahhh, dein Name ist Gülsha, woher kommst du denn?» Ich bin hier geboren, wurde hier sozialisiert, also #vonhier.
Aber das reicht natürlich nicht, man will selbstverständlich wissen, woher ich wirklich komme. Je nach Laune antworte ich schnippisch, gehässig, gewitzt oder spule halt einfach die Antwort ab, die man erwartet: «Meine Mutter ist Türkin, sie kommt aber aus dem Kosovo, und mein Vater ist Albaner, aber aus Serbien.» Und was jetzt? Hmm? Diese Information bringt ja niemandem etwas. Natürlich weiss ich, dass wir aus neurobiologischen Gründen zum Teil in Schubladen denken und wir Infos brauchen, um über unser Gegenüber einordnen zu können in Freund oder Feind. Die Herkunft abzufragen klingt jetzt erst mal easy, um einen ersten Eindruck zu erhalten. Meistens ist es auch nur eine Verlegenheitsfrage, weil einem beim Kennenlernen nichts Anderes einfällt. Aber man könnte sich schon es biz Mühe geben.
Das Sofa oder die lieblings Netflix-Serie sagt mehr aus
Und eigentlich verfälscht es häufig mehr, als dass es zur wahrhaften Einordnung dienen würde. Leider kann unser Fleisch-Computer nur bereits bekannte Dinge mit der neuen Information verknüpfen. Unser Hirn fischt also nach allen Dingen, die es zu Kosovo, Türkei oder Albanien kennt, was für mein Gegenüber wohl kaum Assoziationen hervorruft von frisch gebackenem Börek, 78 Cousins zum draussen spielen oder Durchzug als Todesursache No1. Was fällt denn Ihnen als Erstes ein bei Kosovo? Blitzen Schlagzeilen von Rasern auf, oder der Krieg in den 90ern, Schlägereien in Schlieren oder BMWs?
Um herauszufinden, ob Fressfeind oder Soulmate muss niemand wissen, woher ich komme, bzw. wo meine Eltern geboren wurden. Ich finde es zu 40 Prozent beleidigend, wenn man mir ständig das Gefühl gibt, ich sei keine Schweizerin, dabei bin ich sogar Eidgenossin! (FYI: Jede und jeder kann Eidgenoss*in werden, indem man einfach sagt: «So jetzt bin ich Eidgenossin.» Fertig!). Und zu 60 Prozent finde ich es einfach nervig, weil ich weiss, dass niemand irgendwas mit meiner Antwort anfangen kann. Ausserdem ist es sinnvoller, sich als Erstes nach Gemeinsamkeiten zu erkundigen, anstatt gleich dort einzuhaken, wo man Unterschiede vermutet. Man findet viel mehr heraus, wenn die erste Frage nach dem Kennenlernen wäre: «Welche Farbe hat Dein Sofa?» oder «Wie stehst du zu ______ (insert Deine Lieblings-Netflix-Serie)?».
Mir ist egal, woher Sie kommen. Ich bin neugierig, ob Sie auch schon dreimal «The Good Place» geschaut haben. Und mich interessiert es wirklich nicht, ob Sie aus der Ukraine sind oder aus Indonesien, solange Sie verdammt noch mal die Leute erst aussteigen lassen, bevor Sie sich ins Tram quetschen.