Ich verstehe ehrlich nicht, was die Motivation ist, mit dem Ex-Freund essen zu gehen. Aber das scheint irgendwie ein Ding zu sein bei meinen Freundinnen. Aber ich habe eine These: Sie hat, wie immer, mit Sex zu tun.
Ich hingegen hatte ehrlich noch absolut nie das Bedürfnis, mich mit meinen Verflossenen zu treffen. Wirklich gar nie. Ich empfinde zufällige Aufeinandertreffen schon anstrengend; beide Parteien müssen mit jeder Faser den anderen glauben machen, dass sie den time of their life haben und dass sie überglücklich und überhaupt viel besser dran sind ohne den anderen. Ich vermeide es, irgendetwas von mir preiszugeben bei solchen Smalltalks, und hechte so schnell wie möglich an die Bar oder gebe vor, dass ich Zug/Tram/ Spaceshuttle erwischen muss.
Wozu wollen andere Menschen dann sogar noch zum gemeinsamen Dinner? Absichtlich? Worüber spricht man denn beim Abendessen mit dem Ex? Es ist doch ziemlich ähnlich wie bei einem Treffen mit alten Klassenkameraden: Man hat keine neuen gemeinsamen Erlebnisse und stochert in der Vergangenheit herum. Bei einem Klassentreffen ist das herrlich unverfänglich: Man lässt Lehrerstreiche aufleben und schwelgt in Teenager- und heimlichen Raucherplatz-Erinnerungen.
Mit dem Ex kann man ja jetzt aber wirklich schlecht die Vergangenheit beim mittelteuren Italiener aufleben lassen. Entweder merkt man über die Pizza Verdura gebeugt, dass man eigentlich eine grandiose Beziehung hatte, und fragt sich spätestens beim Tiramisu, weshalb es eigentlich nicht geklappt hat, bestellt noch zwei Grappa und hofft auf ein Revival. Oder – und es ist meistens das «oder» – es wird ein schweisstreibender Drahtseilakt beim Umschiffen der traumatisierenden Erlebnisse, von «Betrug» über «übermässige Eifersucht» bis hin zu «Du hast mir meine besten Jahre gestohlen».
Und so muss man dann ausweichen und über neunzig Minuten irgendwelche Smalltalk-Themen durcharbeiten. Bereits nach der Vorspeise bereut man, dass man zugesagt hat. Über Unverfängliches sprechen wie aktuelle Lieblings-Netflix-Serie und was grad der Job-Stand ist, das interessiert mich aber erstens nicht und zweitens geht mir kostbare Zeit verloren, die ich mit meinen Herzmenschen a.k.a. Freunden hätte verbringen können. 60 Prozent anstrengend, 40 Prozent langweilig. Dieses Kapitel ist abgeschlossen, wozu immer noch das Fenster einen kleinen Spalt offen lassen?
Meine These: Ein Treffen mit dem Ex wird von den meisten als unverfängliches Date angesehen. Aufmerksamkeit vom Gegenüber, Vertrautheit, aber dennoch das aufregend Ungewisse, was einen Hauch von sexueller Energie mitschwingen lässt. Als Single, die schon ganz Tinder durch hat, ist das ein Garant für es bizzeli Prickel-Prickel ohne den nervösen Kennenlern-Talk, ohne sich vorher komplett enthaaren zu müssen und ohne das anstrengende Ghosting danach. Und für Leute, die wieder in einer Beziehung hocken, ist es ein Freipass für eine Date Night-Out mit einem anderen als dem eigenen Partner. Mit dem Ex auszugehen, scheint nämlich für praktisch alle aktuellen Boy- and Girlfriends d’accord zu sein.