Mit einem Freund spiele ich gern das «Roger Schawinski Spiel». Es funktioniert nach einem ganz einfachen Prinzip: Einer sagt etwas - und der andere unterbricht immer und immer wieder und zitiert dazu wahllos aus der Vergangenheit. Wir lachen danach und beglückwünschen uns gegenseitig, wenn einem der andere besonders oft ins Wort gefallen ist.
Wenn ich dann aber wirklich «Schawinski» schaue, vergeht mir das Lachen schnell. Da braucht mein Magen einen Fencheltee, so wie am Montagabend. Das Schweizer Model Tamy Glauser, 34, war da auf SRF zu Gast. Aktueller Anlass: ihre Kandidatur für die Grünen bei den Nationalratswahlen im Herbst.
Der Talk hat kaum begonnen, da schiesst das Roger-Schawinski-Gewehr schon los. Dass sein Interviewstil Geschmackssache ist, weiss jeder, der einschaltet. Die einen schauen's, weil sie's gut finden. Die anderen, um sich hinterher aufzuregen. Ich muss ehrlich gestehen: Ich gehöre eher der zweiten Gruppe an.
Schawinskis Fragestil mag bei nachrichtenbezogenen Aktualitäten gut funktionieren, wenn es darum geht, schnell einen Sachverhalt zu klären und einen relevanten Menschen zu überführen. Aber da sass eben Tamy Glauser.
Weil die Sendung kaum eine halbe Stunde dauert, musst die Biografie des Models im Sprint abgearbeitet werden. Aber natürlich wird nicht feinfühlig nachgefragt, als es um emotionale Themen geht - etwa darum, wie Glauser nach der Geburt weggegeben wurde, ihr Coming-Out, Mobbing in der Schule oder die häusliche Gewalt, die sie in New York erfahren hatte. Nein, Feingefühl hat man vergebens gesucht.
Stattdessen hat Schawinski wie ein aufgedrehter Jagdhund das Spektakel gesucht. «Das ist doch eine Kränkung, nach der Geburt weggegeben zu werden?!», formulierte er seine Frage an Glauser. Der Unterton: Als hätte Glauser mit ihrem Velo sein Auto gestreift. Und so ging das knappe 30 Minuten weiter. Glauser erzählte in ihrer leicht apathischen Redeweise aus ihrem Leben, und Schawinski wartete hungrig auf den Skandal.
Als ich beim Radio arbeitete, war eine meiner ersten Lektionen die folgende: Auch wenn man aktiv zuhört, soll man sich das «Ähä, ähä...» sparen. Klingt doof und bringt dem Zuhörer nichts. Schawinskis «Ähä, ähä...» hat mich nicht nur im Ohr gekratzt, es hat ganz klar signalisiert, dass der Stoff, den Glauser zum Besten gab, nicht scharf genug war. Meine Ohren übersetzten frei: «Sag doch ENDLICH ETWAS KRASSES!»
Nach der ersten Halbzeit mussten schärfere Geschütze aufgefahren werden: «Schauen wir uns doch deine CO2-Bilanz an!» Man kann eine Veganerin und Klimaaktivistin mit weit Krasserem überführen, als damit, dass sie sich ausnahmsweise Bali-Ferien gegönnt hat. Das Herumreiten auf diesem Langstreckenflug war so ermüdend wie wohl der Flug selbst. Um dann noch kurz das Klischee der dummen Models auf den Tisch zu hauen: «Welches Buch liest du gerade? Was lernst du davon?»
Glauser hat sich gut geschlagen. Sie hat authentisch geantwortet und ist entspannt geblieben. Und während Glauser ihre Schawinski-Zeit chillig absass, bin ich nach nur einer halben Stunde Fernsehen so erschöpft, als hätte ich sprinten müssen anstatt spazieren. Aber dieses Mal rege ich mich nicht auf. Muss wohl an Glauser selbst liegen. Diese Attitude hat mich wohl irgendwie angesteckt.