Hätten wir an jenem Abend nicht eine Flasche schweren Rotwein zum frischen Fisch getrunken und ich, weil es der letzte Abend unserer Ferien war, kurz vorher noch zwei Gläser Weisswein zu den Calamares und den frittierten Pimientos, die Nacht hätte in einer Katastrophe geendet. Ob Katastrophen hysterisch sein können, ist mir nicht ganz klar. Ich auf jeden Fall wäre hysterisch geworden.
Wir lagen im Bett, hörten durchs offene Fenster zum letzten Mal dem Rauschen des Meeres zu, schlugen zum letzten Mal nach den spanischen Mücken, und aufs Mal rief mein Partner: «Mach das Licht an, da ist ein Tier in unserem Bett!» Gleichzeitig hörte ich den Schlag seiner Hand auf nackte Haut. Nicht auf meine natürlich, das hätte ich ja gespürt.
Ich machte Licht, und wir fanden im Bett die Überreste einer auf dem Rücken meines Partners erschlagenen grossen Kakerlake. Es war ekelerregend.
Ich mag weder Küche noch Badezimmer und schon gar nicht das Schlafzimmer mit Kakerlaken teilen, geschweige denn das Bett. Während ich mich zwar angewidert abwandte, dabei aber kicherte, weil die Szene eigentlich filmreif und ich genug weinbeduselt war, räumte mein Partner die Einzelteile der Kakerlake zusammen und warf sie aus dem Fenster.
Dabei erzählte er mir, dass er auf dem Rücken ein Krabbeln gespürt habe und zuerst dachte, ich würde mich ihm per Fingerspiel annähern. Stutzig sei er erst geworden, als das Krabbeln, kaum habe er sich ein bisschen bewegt, um sich quasi an meine vermeintlichen zärtlichen Finger anzuschmiegen, aufgehört habe.
Ich lachte noch mehr: Anscheinend gibt es wenig Unterschiede zwischen den sechs flinken Beinen einer Kakerlake und den fünf Fingern einer Hand. Einer Hand übrigens, deren Fingernägel, wie auch jene der zweiten Hand, so sauber waren wie schon lange nicht mehr. Zu Hause kämpfe ich ständig gegen die Trauerränder, die bei mir so sicher sind wie das Amen in der Kirche, da ich am liebsten draussen im «Pflanzplätz ome nüele».
An der Costa de la Luz hingegen griffen diese an Erde gewohnten Finger auf langen Strandspaziergängen immer wieder und wieder nach Muscheln. Grosse, kleine, flache, gewölbte, glatte und gerippte in allen Farbtönen klaubten wir auf, spülten den Sand und alle Trauerränder der Welt in den Wellen hinweg. Das Sammeln entwickelte sich zu einer Sucht.
Jede Muschel schien uns schöner als die zuvor aufgehobene, wir füllten die Hosensäcke, das T-Shirt bauchte sich zu einer Tasche, das Hemd wurde ausgezogen, zusammengeknüpft und mit unseren Fundstücken gefüllt. Muschelberge sammelten sich im Hotelzimmer an, und an jenem Tag, bevor die Kakerlake sich nächtens zu uns ins Bett gesellte, entschlossen wir uns, das Sammelgut kritisch
zu durchleuchten und wirklich nur die schönsten mit nach Hause zu nehmen, um ihnen dort im Garten einen würdigen Platz zu geben.
Mein Partner füllte seinen Rucksack mit den Muscheln und schleppte sie an den Strand; kritisch prüften wir dort Stück um Stück unserer Sammelwut.
Zu Hause angekommen, erfreut uns ein grosser «Chratten» Ferienerinnerung. Immerhin!