Wir sind so viele auf dem Planeten Erde – es ist, als hätten wir hier ein gigantisches Pfadilager aufgeschlagen. Egal, ob in den Zelten, auf der Latrine, bei der Verköstigung oder im Lazarett – unser Wohlbefinden ist durch die physische Nähe unmittelbar abhängig vom Fingerspitzengefühl unserer Zeltnachbarn. So gibt es einerseits wohlige Lagerfeuerrunden, zu denen es einen hinzieht, und andererseits solche, wo der Bogen darum herum nicht gross genug sein kann, weil sie einem zu laut, zu blöd oder auf andere Weise unangenehm sind. Es tummeln sich Sauglatte aller Art und glücklicherweise auch einige 360-Grad-Menschen. Das Lager steht allen offen.
Mit unserem Verhalten hinterlassen wir mit jedem Schritt die persönliche Visitenkarte. Wie wir einander ansprechen, wie sorgfältig wir die Wörter auswählen, kombinieren, in welchem Tonfall und Tempo unsere Stimme auf das Gehör des Gegenübers trifft und welchen Ausdruck unser Körper zeigt – dies alles beschreibt unser Inneres innerhalb eines Atemzuges. Bescheissen können nur geübte Schauspieler.
«Man kann nicht nicht kommunizieren.» Dieses Manifest stammt von Paul Watzlawick – er war ein österreich-amerikanischer Wissenschafter, der sich mit allerlei Menschlichem befasste. Wie recht er hat! Sender und Empfänger lassen sich nicht ein- und ausschalten. Während Sie diese Kolumne lesen, sind Sie möglicherweise online, im Wartezimmer, im Zug oder beim Coiffeur. Schauen Sie in die Runde … Jeder teilt etwas mit.
Jemand blickt aus dem Fenster und gibt zu verstehen, dass er sich zurückziehen und nicht angesprochen werden möchte. Eine andere Person sucht auf penetrante Weise den Blickkontakt und würde anfangen zu plappern, sobald Sie sich darauf einlassen. Jemand Drittes telefoniert und drängt Sie in die Rolle des Zuhörers bei einem verbalen Striptease. Falls Sie danach einen Kaffee trinken gehen, werden Sie automatisch den Gesichtsausdruck des Kellners registrieren und darin lesen können, wie erfreut er tatsächlich über Ihren Besuch ist – vorausgesetzt, Sie schauen ihn an. Sie nehmen seine Gesten wahr. Stellt er Ihnen den Kaffee liebevoll hin, oder versucht er bestenfalls, eine Sauerei durch das Überschwappen der Flüssigkeit zu vermeiden? Beachtet er Sie als Menschen, oder taucht in seiner Matrix bloss der Befehl auf: «Cappuccino ohne Schokoladenpulver an Tisch zwölf ausliefern.»
Die Kommunikationskonzepte der Mitmenschen sind vielfältig. Die einen geben sich manierlich Mühe, damit niemand behaupten kann, sie seien takt- oder respektlos. Die eigenen Reaktionen und Betrachtungsweisen werden sorgfältig hinterfragt, Fairness und Wertschätzung vordergründig. Andere glauben, einen Mehrwert in der Provokation zu erhalten. Dies führt bei mir dazu, meinen Skorpionstachel möglichst im Zaum zu halten.
In den letzten Monaten ist es wenige Male passiert, dass mir jemand unerwartet imponiert hat. Da wurden nicht Pflichtprogramme abgespult, sondern menschliche Zugaben gemacht. Ich bekam zuvorkommende Erläuterungen, ein paar warme Sätze, ein Nachfragen, ein wertschätzendes Wort … Diese Menschen spielen lustig auf der Klaviatur der feinen Art und haben eine Haltung, die Interesse zeigt und es vermehrt. Da waren Handwerker ebenso dabei wie Künstler oder Menschen in dienstleistender Funktion. Sie sind Lichter im Fahrtwind der allgemeinen Kälte und Schnoddrigkeit. Ich bewundere, ja liebe diese wertvollen Geschöpfe unter der Sonne. Und ich bilde mir ein, an gewissen Tagen die Seelen meiner Mitmenschen, seien sie mir noch so fremd, mit meiner ehrlichen, positiven Art ermuntern und vielleicht sogar etwas stärken zu können.
Kommunikation und Sozialkompetenz sollen am besten zu Hause und in den Schulen vermittelt werden. Nur so wird sich dieses irdische Pfadilager vielleicht doch noch etwas Richtung Wellnessoase bewegen.