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«SENKRECHT» MIT NATASCHA KNECHT

Kühlschranktür der Eitelkeit

Natascha Knecht, 49, Journalistin und Alpinistin, Buchautorin und Bloggerin erklärt, warum Postkarten viel cooler als Instagram und Brieftauben sind.

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A female hiker stands on top of a rocky promontory as she uses her mobile phone to take a picture of the setting sun on the distant horizon. A series of mountain ridges seem to disappear into the distance as the haze obscures the details creating a graphic outline of the various layers of ridge lines.
Getty Images

Von wegen Selfie und Instagram! Eine Bergtour machte schon immer dann am meisten Spass, wenn man seine Freunde und Feinde am persönlichen Triumph so unmittelbar wie möglich teilhaben lassen konnte. 1838 sandte die adelige Bergsteigerin Henriette d’Angeville fünf Brieftauben vom Gipfel des Mont Blanc nach Paris. Aus 4810 Meter Höhe.

Schade, konnte die Comtesse noch kein Selfie machen. Denn sie sah bestimmt gut aus dort oben. Nebst den Brieftauben im Käfig liess sie Kölnischwasser, Fächer und Schuhlöffel mitnehmen. Sowie einen Spiegel, damit sie die Gesichtshaut auf Sonnenbrand hin kontrollieren und rechtzeitig kühlende Gurkencreme auftragen konnte.

Zum Glück gibt es die Selfie-Generation!

Die Gräfin ging mit ihrer Tour auf den höchsten Alpengipfel gleich doppelt in die Geschichtsbücher ein. Sie schaffte den Mont Blanc als erste Frau aus eigener Körperkraft. Liess sich nicht hinauftragen wie ihre Vorgängerin. Aber Henriette d’Angeville wollte mehr. Darum setzte sie sich auf dem Gipfel auf die Schultern ihrer zwölf Führer – damit sie höher gewesen ist als alle vor ihr.

Man könnte meinen, dieser historische Gipfel der Eitelkeit sei nicht zu überbieten. Aber zum Glück gibt es jetzt die Selfie-Generation. Ein Bergführer erzählte mir, ein Prinz aus einem orientalischen Land habe ihn im Winter zum Eisklettern angefragt. Zusätzlich engagierte der wohlhabende Mann einen professionellen Bergfotografen, um perfekte Bilder und Videos für seine sozialen Kanäle zu bekommen.

Zu dritt seien sie zum Eisfall marschiert. Dort angekommen, streckte der Prinz dem Bergführer die Hände entgegen und sagte: «Du kannst mir jetzt die wärmeren Handschuhe überziehen.» Wie ein kleines Kind. Offenbar weiss ein verwöhnter Prinz nicht, wie man die Handschuhe wechselt. Wie man sich als unverfrorenen Eiskletterer inszeniert, aber schon.

«Ziel erreicht. Ich bin jetzt Postakrte!»

Warum ich das erzähle? Weil es mir diesen Sommer gelang, sämtliche bisherigen Gipfel der Eitelkeiten zu toppen. Zufällig entdeckte ich auf einem Flohmarkt Postkarten mit Klettermotiven aus den 1930er-Jahren. Und sah schwarz auf weiss: Auch damals posierten die wilden Kletterer wie Dandys für die Kamera. Schamloser als die heutigen Hipster auf Instagram.

Auf der nächsten Klettertour – es war zufällig eine fotogene 700 Meter hohe Steilwand im Rätikon GR – machten mein Seilpartner und ich wie üblich einige Aufnahmen. Natürlich wissen wir, welche Winkel und Positionen sich am besten eignen. Trotzdem sagte ich ihm, dass ich keine Bilder posten werde. Mein Ziel sei jetzt, auf einer Postkarte abgebildet zu werden. Wie die Kletterer früher. Das schaffe schliesslich nicht jeder.

Was fand ich ein paar Tage später im Briefkasten? Eine Postkarte! Wer ist darauf zu sehen? Ich! Mein Kletterfreund liess aus einem seiner Handyfotos eine richtige Karte erstellen. Sofort befestigte ich sie mit einem Magneten an meiner Kühlschranktür. Ich bin jetzt Postkarte! Viel cooler als Instagram oder Brieftauben.

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Von Natascha Knecht am 19. August 2019 - 16:20 Uhr