London, Mitte des 19. Jahrhunderts: Ein junger Mann betritt eine Brücke, ein Seil in der Hand, die Themse unter ihm, Verzweiflung in seinen Augen. Mit einem letzten Blick auf die Stadt bindet er das Tau am Geländer fest, legt sich die Schlinge um den Hals – und springt. Dann wird das Bild schwarz und ein Rückblick führt uns in eine Zeit, sieben Jahre vor dem Selbstmord – oder war es nur ein Versuch? Schnell erfahren wir seinen Namen: Pip. Und sofort habe ich grosse Erwartungen an «Great Expectations», die neue Serie auf Disney+.
Basierend auf dem Erfolgsroman von Charles Dickens – übrigens sein vorletzter Roman, den er vollständig zu Ende schrieb – werden wir in die Welt des jungen Pip entführt, der bei seiner älteren Schwester und deren Ehemann, einem Schmied, lebt, nachdem die Eltern und alle weiteren Geschwister an den Pocken gestorben sind. Er ist also, und wer hätte das bei einem Charles-Dickens-Roman nur erwartet, ein Waisenjunge. Er wird von seiner Schwester regelmässig geschlagen, er hat aber ein enges Verhältnis zu seinem Schwager. Für mich ja nicht vorstellbar, dass eine Schwester ihr Geschwister so behandelt, immerhin sind die beiden doch alles, was ihnen von ihrer Kernfamilie geblieben ist.
In der ersten Folge lernen wir also Pip kennen, seine Wohnumstände und wie es dazu kam. Doch auch, dass er ein gutes Herz hat und Menschen in Not hilft. Denn als er zum Grab seiner Eltern geht, überrascht ihn auf dem Friedhof ein entlaufener Sträfling, der ihn unter Androhung von Gewalt bittet – also zwingt, wenn wir ehrlich sind – ihm Essen und Trinken zu bringen, etwas das ihn wärmt, denn die erste Folge spielt an Heilig Abend. Ich weiss, eine sehr passende Jahreszeit, zum Start der Sommerferien. Aber ich komm noch dazu, wieso ich heute «Great Expectations» zum Streamen empfehle.
Ein neues Leben – ein neues Schicksal!
Pip wird auserwählt, um der Adoptivtochter der exzentrischen Miss Havisham Gesellschaft zu leisten, da Pip und Estella, wie das Mädchen heisst, etwa im gleichen Alter sind. Pips Schwester und ihr Mann bekommen im Gegenzug Geld dafür. Der junge Pip sieht darin eine Gelegenheit, seinem Schicksal als Schmied in einem kleinen Ort in England zu entkommen – und seiner gewalttätigen Schwester. Das alles, um seine Zukunft selbst zu gestalten. Ganz nach dem Motto: Jeder ist seines Glückes Schmied. Ironisch, wo Pip richtiger Schmied hätte werden können. Wird Pip sein Glück finden? Oder stirbt er tatsächlich den Freitod, wie es der Beginn der ersten Folge prophezeit?
Die erste und vorläufig einzige Staffel der Serie besteht aus sechs Folgen. Ihr habt keine Lust, bei dem schönen Wetter drin zu sitzen, und eine Serie zu gucken? Boy, oh boy, hab ich gute Nachrichten für euch: Ihr könnt stattdessen das Buch lesen! Und deshalb empfehle ich euch diese Serie, denn entweder ihr verkriecht euch drin und streamt, oder ihr geht nach draussen und lest.
Jetzt habt ihr aber immer noch nicht genug von Charles Dickens, müsst aber irgendwie die Zeit tot schlagen, bis ich aus meinen Ferien zurück bin und ihr die nächste Kolumne von mir bekommt? Kein Problem, I've got your back! Bis zum 23. Juli könnt ihr auf Sky «David Copperfield» sehen. Genau wie bei «Great Expectations» eine Verfilmung, in der ein Waisenjunge versucht, sein Glück zu finden und sein Schicksal selbst in die Hand zu nehmen. Wenn ihr keine Lust auf Charles Dickens habt, könnt ihr auch «Prince of Persia» auf Disney+ gucken – ebenfalls eine Geschichte eines Waisenjungen, der sein Schicksal selbst in die Hand nimmt. Oder «Tangled», ein Film über eine verlorene Prinzessin, die ihr Glück findet… You get it. Ich denke, langweilig sollte euch auf jeden Fall nicht werden, bis Siljas (Film-)Klappe wieder «Action!» ruft!