Es ist genau jener Moment, wo ich denke, «wenn sich dieser Stein löst, liege ich in einer Minute in Saas Allmagell. Tot.» Ich taste mit den Bergschuhen am lexikongrossen Stein. Scheint zu halten. Ich bücke mich, greife nach einem anderen Stein, der etwa auf Kniehöhe am Hang liegt. Fuss, Wade, Oberschenkel spannen sich an, ich trete auf, schwinge mich weiter - yess! Es kann weiter gehen.
- «Pippa, siehst du, wo die Route weiterführt?»
- «Ja, dort oben sind Spuren im Schnee, wir müssen dort hoch.»
Und weiter gehts, abwechslungsweise über Eis, Geröll, Felsen und Matsch.
Es war vergangenen Mittwoch. Meine Super-Freundin Pippa und ich sind auf dem Weg zur Britannia-Hütte, noch vor neun Uhr morgens. Meine erste grössere Wanderung, seit ich in Saas Fee bin. Endlich. Kein Klettersteig, noch nicht einmal eine Via Ferrata. Und doch, mein erster Adrenalin-Kick diese Saison. Ein unpräparierter Steig, endlich Schnee, endlich Fels, endlich den Körper spüren, endlich frei, allein am Berg. Pippa und ich, die Saas Fee Mountain Goats, so nennen wir uns spontan. Adrenalin für Anfänger.
Der Weg zur Britannia-Hütte führt erst einmal mit dem Alpin Express bis hinauf zum Felskinn, dann etwa eine Stunde Wandern und Klettern am Berg, dann die Britannia Hütte auf 3030 Metern über Meer. Sie gilt als die meistbesuchte SAC-Hütte der Alpen. Pippa und ich gönnen uns in unserer Genugtuung erst mal einen Kaffee Luz, schnell kommt man ins Plaudern. Zur Stärkung kriegen wir noch warmen Kuchen umsonst. Trotz des sich zögerlich lösenden Nebels sind wir euphorisch, der Blick auf Gletscher und durch Sahara-Sand pink verfärbte Schneefelder wird frei. Wir sind unter den ersten Wanderern auf der Hütte. Wir müssen weiter. Unsere Körper haben Bock, es zuckt unter den Fusssohlen. Los, los, endlich los. Nächstes Ziel ist der Plattjen, im Winter mein Lieblingshang zum Snowboarden. Steil und hart vom ewigen Schatten im Januar und vor allem: schnell.
Wir wandern weiter, über kristallig-knirschenden Schnee, vorbei an entarteten Felsen, kargen Blumen und Gletscherseen. Wieder klettern wir, doch die Felsen sind nun gross und mächtig, fest ineinander verkeilt und glitschig vom hartnäckigen Nebel. Uns kommen nun immer mehr Wanderer entgegen, sie sind spät dran. Am Mittag sind Pippa und ich im Dorf zum Girls-Lunch verabredet. Wir müssen uns beeilen. Um zehn vor zwölf haben wir den Plattjen erreicht, eine kurze Wasser-Zigi-Pause hinter uns. In 40 Minuten müssen wir am Mittagstisch hocken. «Willst du mit der Gondel runter?» - «Nein. Du?»
- «No way.»
- «Wollen wir rennen?»
- «Oh yes!»
Wir rennen den Plattjen runter, springen, bremsen, weichen aus. Die entgegenkommenden Wanderer sind fasziniert, frustriert, manche applaudieren, Daumen nach oben. Die Crazy-Mountain-Girls, die nicht mal richtige Wanderkleidung tragen. Wir sind die Berg-Rockstars in Freestylershirts und roten Ray-Ban-Verschnitten von Coca Cola. Wir sind schnell, schaffen die auf dem Berg angegebene Zeit ins Dorf in unter der Hälfte der Zeit. Wir sind schnell, wir sind stark, wir sind am Leben. Wir sind verliebt in den Berg. Und süchtig. Und wollen ein Bier.
Tourenbeschrieb:
Felskinn - Britannia Hütte - Plattjen - Saas Fee. Dauer ca. 4.5 bis 5 Stunden. Wenig Steigung, jedoch nur für geübte Wanderer geeignet. Gutes Schuhwerk!