Jlona Dreyer liebt die Kult-Punker Die Toten Hosen – so sehr, dass sie sich ein Tattoo mit einer Liedzeile der Band auf ihre Brust stechen liess: «Ich halte einen Dolch und ’n Kuss für dich bereit». Warum sie sich von diesen Worten so angezogen fühlt, realisiert sie erst Jahre später: «Als ich 2018 die Diagnose Borderline-Persönlichkeitsstörung erhielt, wusste ich, warum ich diesen Spruch schon früher so liebte.» Dreyer begab sich für drei Monate in die Psychiatrie in Zug – «das half».
Die 30-jährige Obwaldnerin sitzt auf ihrer Couch in Sachseln, Freund Luca, 26, neben ihr. 170'000 Menschen in der Schweiz haben wie Dreyer das Borderline-Syndrom. «Ich bin impulsiv und emotional instabil.» Oft verspüre sie eine grosse innere Leere, «als läge ein Fels auf mir». Dreyer verletzt sich selbst. «Das ist ein Ventil, denn körperlichen Schmerz halte ich besser aus als seelischen.»
Vor ein paar Tagen sitzen Jlona und Luca daheim beim Znacht und lachen. Dann kommt ein Anruf, der Jlona aus der Bahn wirft. Überwältigt von Emotionen und negativen Gefühlen, schlägt sie ihren Kopf mehrmals an die Wand. So lange, bis Luca sie packen kann und ins Bett bringt. Jlona bleibt liegen, bitterlich weinend – «aus Selbsthass». Nach einer Stunde steht sie auf, lacht – wie wenn nichts passiert wäre.
Luca und sie haben sich 2017 an einem Konzert kennengelernt. «Jlona hat ein warmes Herz, guten Humor, sie ist feinfühlig.» Aber ihre Krankheit verlangt auch ihm sehr viel ab. Kraft tankt er bei seiner Büez: Luca ist Schwertransport-Chauffeur.
«Ich gehe immer arbeiten», sagt Jlona Dreyer, «auch wenn es mir schlecht geht.» Zurzeit hat die gelernte Köchin eine 100-Prozent-Stelle. «Ich muss mich mega konzentrieren, meine Gedanken in Schach zu halten, das ist anstrengend!» Sie lässt sich nichts anmerken, wenn sie unter Leuten ist, «als ob ich eine Maske aufhätte». Die Corona-Pandemie kommt ihr gelegen. «Nun habe ich ein Alibi, nur noch so wenig wie nötig unter Leute zu gehen.»
Alle zwei Wochen ist sie bei ihrer Psychotherapeutin, Medikamente braucht sie keine mehr. «Malen hilft beim Verarbeiten meiner Probleme.» Täglich zeichnet sie auf ihrem iPad Bilder, die sie auf ihr Instagram-Profil catvelvet_art stellt. «So kann ich anderen mit psychischen Problemen das Gefühl geben, nicht allein zu sein.» Ihr Bild «Sick of Silence» hat eine andere Patientin in die Therapie mitgenommen – um zu zeigen, wie sie sich fühlt.
Der Aktionstag «Psychische Gesundheit» vom 10. Dezember sei wichtig, sagt Dreyer. Jugendliche hätten oft kein oder ein falsches Bild von seelischen Leiden. Sie selber wäre froh gewesen, hätte sie als Jugendliche mehr darüber gewusst – «dann hätte ich früher Hilfe geholt».
Sie weiss aus eigener Erfahrung: Psychisch Kranke werden noch immer ausgegrenzt. «Nur weil ich anders bin, heisst das nicht, dass ich gestört bin. Ich will gleich behandelt werden wie alle anderen», betont Jlona Dreyer. Schlechte Erfahrungen hat sie nicht gemacht, seit sie über ihre Krankheit redet. «Das Verhältnis zu meinen Eltern ist enger geworden.» Ihre Botschaft: «Es bedeutet Stärke, wenn man zum Psychologen geht!»
Über die Aktion «DARÜBER REDEN. HILFE FINDEN.»
Viele Menschen in der Schweiz leiden auch seelisch unter den Auswirkungen der Coronakrise. «DARÜBER REDEN. HILFE FINDEN» heisst der Aktionstag, der vom BAG initiiert wurde und am 10. Dezember 2020 stattfindet. Die Hilfsorganisationen Pro Mente Sana, Dargebotene Hand, Pro Juventute, Pro Senectute, Caritas und das Schweizerische Rote Kreuz widmen sich gemeinsam mit Ringier, der SRG (alle vier Sprachregionen) und vielen weiteren Akteuren den verschiedensten Aspekten des Themas «psychische Gesundheit». Menschen in schwierigen Situationen erfahren so Solidarität und werden über konkrete Hilfsangebote informiert. Der Tag sensibilisiert auch die Gesamtbevölkerung dafür, im Umfeld aufmerksam zu sein und Hilfe zu leisten.
Weitere Informationen: bag-coronavirus.ch/hilfe