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Bei Melanie Winiger wurde mit 33 Jahren ADHS diagnostiziert. Style
Bei Winiger wurde es mit 33 diagnostiziert

Das bedeutet es, als Erwachsener an ADHS zu leiden

Im Nahtalk mit Gülsha erwähnt Ex-Miss Melanie Winiger ganz beiläufig, dass bei ihr mit 33 Jahren ADHS festgestellt wurde. Moment mal – haben das nicht nur Kinder? Wir haben mit einem Experten über das Syndrom bei Erwachsenen gesprochen.

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Wenn man ADHS hört, ploppen sofort Bilder von hibbeligen Kindern, Psychologen auf Lederstühlen und jeder Menge Ritalin-Pillen im Kopf auf. Es ist das typisch-amerikanische Bild, das wir im Fernsehen und Internet so oft vorgezeigt bekommen. Dass die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung aber auch im Erwachsenenalter weiter bestehen kann, wird wie so oft bei schwierigen Themen, gerne mal ausgeblendet. Dabei weist laut Studien rund ein Drittel der Betroffenen auch im Erwachsenenalter noch beeinträchtigende Anzeichen von ADHS auf. Eine von ihnen ist Ex-Miss, Schauspielerin und Moderatorin Melanie Winiger. Das erzählt sie kürzlich im Nahtalk mit Gülsha ganz beiläufig. «Mit 33 hat man mir diagnostiziert, dass ich ADHS leide. Sie wollten mir Ritalin verschreiben, aber ich fand, wenn ich das bis jetzt ohne schaffe, dann kann ich das auch weiterhin.»

Jeder dritte ADHS-Fall ist betroffen

Okay, wow – ist da etwas an uns vorbeigegangen, dass das ein sehr häufiges Phänomen ist, aber einfach totgeschwiegen wird? Gut möglich. Bei Dr. Lars Wöckel, Chefarzt der Clienia Privatklinik für Psychiatrie und Psychotherapie haben wir mal genauer nachfragt und herausgefunden, was es mit der Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung bei Erwachsenen eigentlich auf sich hat.

Style: Wie genau entsteht ADHS überhaupt?
PD Dr. med. Lars Wöckel: Die Aufmerksamkeitsdefizit-/ Hyperaktivitätsstörung ist eine angeborene, psychiatrische Krankheit. Man schätzt die Erblichkeit auf etwa 70 Prozent. Es gibt aber auch andere Risikofaktoren – etwa Nikotin oder Alkohol in der Schwangerschaft – die die Entstehung bei Kindern fördern können.

Das heisst, auch wenn man wie Melanie Winiger erst mit 33 diagnostiziert wird, hat man die Krankheit schon sein Leben lang?
Genau. Sie ist aber natürlich nicht immer gleich stark ausgeprägt und kann in einigen Fällen so mild sein, dass Eltern ihr Kind nie darauf untersuchen lassen. Auch wie das Umfeld mit der Situation umgeht spielt eine grosse Rolle, wenn es darum geht, wie stark sich die Störung im Alltag zeigt. 

Wenn die Erkrankung schon damals nicht erkannt wurde, wie diagnostiziert man sie dann bei Erwachsenen?
Bei Kindern und Jugendlichen geben vor allem Gespräche mit Eltern, Lehrern und anderen Angehörigen Aufschluss, denn die Betroffenen selbst kennen ihre Welt ja nicht anders. Sie können die Schwierigkeiten, die sie im Alltag haben, oftmals nicht umfassend schildern. Das macht die Diagnose bei Erwachsenen besonders schwierig. Teilweise sind die Eltern nicht mehr da. Deswegen müssen sehr zielgerichtete Gespräche geführt werden, um  herauszufinden, wann welche Symptome aufgetreten sind. Viele können sich aber natürlich an ihre Primarschulzeit und das, was im Alter von 5, 6 Jahren war, kaum noch erinnern. Alte Schulhefte und Zeugnisse können hier helfen. Ausserdem haben wir einen Fragenkatalog, mit dem wir versuchen, die Kernsymptome bei ADHS zu erfassen. So kann auch herausgefunden werden, ob nicht vielleicht eine andere psychische Erkrankung vorliegt, etwa eine Depression oder eine Angststörung.

Was passiert im Gehirn von Betroffenen?
Die exekutiven Funktionen funktionieren bei Menschen mit ADHS nicht ausreichend. Sie sind dafür zuständig, dass wir uns an bestimmte Situationen anpassen können. Sie helfen uns, vorausschauend zu planen, Ziele und Prioritäten zu setzen – und auch Impulse und Emotionen zu steuern. Im Alltag werden wir schliesslich dauerhaft mit einer Flut an Informationen überschwemmt. Unser Gehirn hemmt die allermeisten von Ihnen, so dass wir uns auf gewisse Dinge konzentrieren können. Und wenn dieser Prozess nicht oder nur eingeschränkt funktioniert, bringt das natürlich Probleme mit sich. 

Wie äussert sich das im Alltag?
ADHS-Betroffene können sehr schnell und intensiver wütend werden als andere. Viele von ihnen haben mehr Unfälle, weil sie Situationen nicht richtig einschätzen, oder schlechtere Schulnoten, weil es ihnen schwer fällt, sich zu konzentrieren. Im Erwachsenenalter kann die Krankheit zu Problemen im Job führen und im extremen Fall kann jemand Schwierigkeiten haben am normalen sozialen Leben teilzunehmen. Viel häufiger sind es aber kleinere Alltagsprobleme: Man verpasst, Zeit für den Hinweg zu einem Treffen einzuplanen. Will Einkaufen gehen, aber wird unterwegs abgelenkt und vergisst den ursprünglichen Plan. Es hängt sehr viel davon ab, wie stark die Störung ausgeprägt ist, in welchem Umfeld man aufwächst, wie mit der Krankheit umgegangen wird und wie die Behandlung aussieht. 

Wie sieht die Behandlung aus?
Heilen kann man ADHS nicht – aber man kann Betroffene unterstützen. Zum einen gibt es natürlich die Behandlung mit Medikamenten. Bei bestimmten Botenstoffen im Gehirn besteht eine Mangelsituation, die mit den richtigen Präparaten gut ausgeglichen werden kann. Damit ist aber nur bei einem Teilbereich geholfen. Die unzureichende Selbststrukturierung, das fehlende Zeitmanagement und die Schwierigkeiten im Umgang mit Stresssituationen sind beispielsweise Probleme, mit denen die Betroffenen aufgewachsen sind. Hier helfen bei Erwachsenen vor allem Coachings, zum Beispiel in Gruppentherapien, in denen an genau diesen Dingen gearbeitet werden kann. 

Von Malin Mueller am 4. März 2020 - 13:56 Uhr