1. Home
  2. Body & Health
  3. Health
  4. Das kann bei Krankheit im Ausland passieren
Am besten sofort Nachhause

Deshalb ist bei Spitälern im Ausland Vorsicht geboten

Der übermässige Einsatz von Antibiotika führt zunehmend zu Resistenzen. Durch Fernreisen werden Keime und Bakterien weltweit verbreitet. Der Arzt Andreas Widmer lobt die Schweiz und warnt vor Spitälern im Ausland.

Artikel teilen

B&H 35 Krank im Ausland

«Nach einer Operation im Ausland rasch nach Hause oder sich repatriieren lassen», rät Arzt Andreas Widmer.

ZVG

Seit Alexander Fleming 1928 das Penicillin entdeckte, verlaufen bakterielle Infektionen glimpflicher, haben Lungenentzündungen oder Blutvergiftungen dank Antibiotika ihren Schrecken verloren. Die Hälfte aller Hospitalisierten erhält heute ein Antibiotikum. Kaiserschnitt, Gelenkersatz-OP, Organtransplantation oder Chemotherapie sind ohne nicht möglich. Beim Antibiotakteinsatz können sich aber Resistenzen bilden, wenn Bakterien durch genetische Mutation die Wirkung neutralisieren. Ein Beispiel: Heute werden ab und zu Frauen mit Blasenentzündung hospitalisiert. Während sie früher in ein bis drei Tagen mit Tabletten therapierbar waren, sind nun nur noch Antibiotika intravenös wirksam. «Das nimmt zu», sagt Infektiologie-Professor und Swissnoso-Präsident Andreas Widmer. Bakterien werden in grampositiv und -negativ eingeteilt. Die positiven sind austrocknungsresistent, überleben auf Oberflächen. Sie lassen sich vor allem durch Hygienemassnahmen gut bekämpfen. In Schweizer Spitälern ist der Hauptvertreter dieser Keime, MRSA, nach zehn Jahren unter Kontrolle.

Prof. Andreas Widmer, sind gramnegative Bakterien das Problem?

Ja, Darmbakterien. Unsere Darmflora besteht zu 80 Prozent aus Escherichia coli und Enterokokken. Escherichia coli haben ein Enzym, das von Bakterium zu Bakterium springt – und zwar auch zu anderen gramnegativen. Hier verzeichnen wir einen linearen Anstieg über die letzten zehn Jahre von 2 Prozent auf 13 Prozent.

Wo sind die Hotspots?

Indien ist einer. Der Mikrobiologe Timothy Walsh fand multiresistente Keime im Trinkwasser von Neu-Delhi. Auch in China, der Türkei und vor allem in Griechenland breiten sich zurzeit zwei hochresistente neue Bakterienstämme rasant aus. Eine eigene Untersuchung zeigt, dass in bis zu 80 Prozent der Stuhlproben, die Fernost-Reisenden nach ihrer Heimkehr entnommen wurden, resistente Keime vorhanden sind, obwohl ihre Stuhlprobe vor Abflug noch negativ war.

Laut WHO sind Resistenzen eine der grössten globalen Bedrohungen für die Gesundheit.

Der Ökonom Jim O’Neill prognostizierte, dass bis 2050 mehr Leute mangels wirksamer Antibiotika an Infektionskrankheiten sterben werden als an Tumoren und Herzkrankheiten.

Das tönt dramatisch!

Ja, aber es kommt darauf an, wo man lebt. Nur wenige Länder haben Spezialisten, um diese Resistenzentwicklung zu verhindern und zu stoppen. Dazu gehört die Schweiz – nebst Frankreich und Deutschland.

Wir stehen also gut da im internationalen Vergleich?

Wenn wir den Stand jetzt beibehalten, sind wir für die nächsten drei bis fünf Jahre bestens gerüstet. Auch sind wir nebst Holland in vielen Bereichen der Prävention, Diagnostik und Therapie führend in Europa.

Unsere Reisetätigkeit verstärkt aber das Problem.

Sie führt zu einem kontinuierlichen Zustrom resistenter Bakterien. Meine Kollegin im indischen Chennai setzt Antibiotika schon bei einem einfachen Infekt ein. Bei uns wäre das ein fahrlässiger Verstoss gegen die geltenden Richtlinien.

Aber dort braucht es sie.

Temporär gibt das eine Erleichterung, aber wenn solche Antibiotika breit eingesetzt werden, endet das mittel- und langfristig im Resistenz-Chaos. Dabei handelt es sich um ein Managementproblem, das wir in Europa verhindern können. Dafür benötigen wir aber Überwachungssysteme wie Swissnoso, die sagen, wenn etwas aus dem Ruder läuft.

Was können wir persönlich dazu beitragen, um Resistenzen zu vermeiden?

Wir sollten Antibiotika so lange einnehmen, wie sie verschrieben wurden, also die Therapie nicht abbrechen oder verkürzen, wenn wir uns besser fühlen.

Und wenn man im Ausland operiert wurde?

So rasch wie möglich nach Hause fahren oder sich repatriieren lassen, etwa mit der Rega. Ausländische Kliniken können oft gut operieren, aber bei einer postoperativen Infektion hat man Pech. Solche Infektionen lassen sich in der Schweiz immer noch behandeln. Wichtig ist, dem Arzt zu sagen, dass man im Ausland hospitalisiert war. Denn nach zwei Tagen auf einer Intensivstation in Athen kommt man mit ganz anderen Bakterien zurück in die Schweiz.

Wie stehts um die Verfügbarkeit von Antibiotika bei uns?

Wir haben vor allem bei den einfachen zunehmend Schwierigkeiten. Es gibt in Europa nur noch eine Penicillinfabrik, alle anderen sind in Fernost. Eine Tagesdosis Penicillin kostet 1.80 Franken, die Herstellung rentiert also nicht. Sollen einfache Antibiotika weiterhin verfügbar sein, müssen europäische Produktionsstätten aufrechterhalten oder aufgebaut werden.

Wie sieht die Zukunft aus?

Düster, denn die Situation in Indien und China wird sich in Bezug auf Antibiotikarückstände in den Gewässern kaum verbessern.

Prof. Andreas Widmer

Professor Andreas Widmer ist Präsident von Swissnoso, dem nationalen Zentrum für Infektionsprävention.

ZVG
Von Miriam Zollinger am 30. August 2024 - 18:00 Uhr