Rückenschmerzen gehören zu den häufigsten körperlichen Beschwerden bei Erwachsenen und können das tägliche Leben erheblich beeinträchtigen. Sie gehören zudem zu den Hauptgründen für Krankschreibungen. Eine krumme Haltung, eine falsche Bewegung, zu wenig Sport: Was sind die Hauptursachen für Rückenschmerzen und wie kann man ihnen vorbeugen? Dr. David Kubosch, leitender Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie der Gelenk-Klinik Gundelfingen erklärt im Interview, wann ärztliche Hilfe nötig ist und welche Massnahmen im akuten Notfall helfen.
Was sind aus Ihrer Sicht die häufigsten Ursachen für Rückenschmerzen bei Erwachsenen?
Dr. David Kubosch: Rückenschmerzen haben viele verschiedene Ursachen. Vielfach entstehen Schmerzen im Rücken generell durch übermässige Belastung bei schwerer körperlicher Arbeit bzw. einseitige Bewegungsabläufe (wie z. B. Fliessbandarbeit). Ein weiterer Hauptfaktor für Rückenprobleme ist Bewegungsmangel. Durch stundenlanges Sitzen in Büro und Freizeit werden verschiedene Muskelgruppen der Rücken- und Bauchregion nicht ausreichend bewegt. Sie verspannen sich oder verkümmern geradezu. Die Folge ist eine Unausgewogenheit sowie Fehlstellungen am Rücken.
Oftmals sind aber auch altersbedingte Veränderungen ein Auslöser. Denn nicht nur die Gelenke, sondern auch die Wirbelsäule verschleisst mit fortschreitendem Alter. Vielfach von Arthrose betroffen sind die Facetten-Gelenke. Die einzelnen Wirbel der Wirbelsäule reiben dann schmerzhaft aufeinander, weil die dämpfende Knorpelschicht abgenommen hat.
Oftmals sind «funktionelle Rückenschmerzen», so die entsprechende Diagnose, aber auch das Resultat von Leistungsdruck, Konflikten und weiteren psychischen Belastungen. Nachweislich gehören Rückenprobleme zu den häufigsten psychosomatischen Beschwerden: Neben orthopädischen Ursachen stecken häufig Ängste, Depressionen oder eine ständige Überforderung am Arbeitsplatz hinter dem «Kreuzweh».
Welche unterschiedlichen Arten von Rückenschmerzen gibt es?
Dr. Kubosch: Rückenschmerzen können sich auf unterschiedlichste Weise äussern und verschiedene Bereiche der Wirbelsäule betreffen. Am häufigsten haben Rückenschmerzen im Bereich der Lendenwirbelsäule (LWS) ihren Ursprung, am zweithäufigsten sind Beschwerden der Halswirbelsäule (HWS). Probleme mit der Brustwirbelsäule (BWS) machen den kleinsten Anteil an Rückenschmerzen aus.
Wie erkennt man, ob bei Rückenschmerzen ärztliche Hilfe nötig ist?
Dr. Kubosch: Bei länger anhaltenden Beschwerden ist fachärztliche Hilfe unerlässlich: Sechs Wochen, so rät die «Nationale Versorgungsleitlinie Kreuzschmerzen», sollte mit dem Röntgen gewartet werden. Doch dies gilt natürlich nur, wenn der Arzt von «unspezifischen Rückenschmerzen» ausgeht (was übrigens bei 80 Prozent aller Patienten der Fall ist). Zudem dürfen keine Alarmsignale auftreten wie beispielsweise ein Taubheitsgefühl oder Lähmungserscheinungen in Armen oder Beinen. In diesen Fällen – sowie starken Schmerzen – ist umgehende fachärztliche Hilfe durch einen Orthopäden erforderlich.
Aber auch bei weniger ausgeprägten Beschwerden ist eine möglichst baldige fachärztliche Behandlung sehr empfehlenswert. Denn: Patienten mit Rückenschmerzen besitzen oft eine längere Therapie-Vorgeschichte – bis hin zu mehreren Jahren. Währenddessen erleben viele Betroffene keine entscheidende Besserung ihrer Beschwerden, anfänglich akute Rückenschmerzen drohen mit der Zeit chronisch zu werden – mit vielfach drastischen Folgen: Neben Erkrankungen des Herz-Kreislaufsystems sind chronische Rückenschmerzen der häufigste Grund für eine teilweise oder vollständige Erwerbsunfähigkeit und eine Frühverrentung.
Welche Massnahmen empfehlen Sie bei akuten Schmerzen im Rücken?
Dr. Kubosch: Treten Rückenschmerzen häufiger auf, so helfen meist schon die Optimierung des Arbeitsplatzes sowie eine wirbelsäulengerechte Haltung. Bei erheblichen Schmerzen sollte man zunächst auf schweres Heben und Bücken verzichten. Wärme durch Rotlicht, Wärmeflaschen oder ABC-Pflaster entspannt die Muskeln und lindert akute Schmerzattacken. Durch die tief eindringende Wärme ist auch Infrarot eine bewährte Anwendungsoption bei Muskelverspannungen sowie Schmerzen des Bewegungsapparates. Empfehlenswert ist hierbei wassergefiltertes Infrarot (wIRA), weil die Gefahr der Verbrennung durch Überwärmung der oberen Hautschichten ausgeschaltet wird. Auch Wärmesalben zeigen bei chronischen Schmerzen oder Muskelverspannungen gute Wirkung. Sie fördern die Durchblutung und den Abtransport diverser Stoffwechselprodukte im Gewebe.
Massagen können ebenfalls hilfreich sein, um die Rückenmuskulatur besser zu durchbluten und zu lockern. Zumindest kurzfristig können auch Faszienrollen Linderung bringen. Denn diese entspannen die Rückenmuskulatur und fördern die Durchblutung. Wissenschaftlich ist deren Wirksamkeit bei Rückenschmerzen allerdings nicht nachgewiesen.
Wie lassen sich Rückenschmerzen vorbeugen? Gibt es bestimmte Gewohnheiten, die Rückenschmerzen begünstigen?
Dr. Kubosch: Bewegung ist das A und O der Prävention. Öfter die Treppe statt des Aufzugs zu nehmen ist ein erster wirkungsvoller Schritt. Hilfreich ist es auch schon, tagsüber im Büro immer wieder mal die Sitzposition zu ändern und zwischen aufrechter, vorgeneigter und zurückgelehnter Haltung zu wechseln.
Dem Bewegungsmangel locker entgegenwirken können bereits kleine einfache Fitnessübungen wie folgende: Stellen Sie sich breitbeinig mit parallelen Füssen hin und lassen Sie Ihre Arme lang gestreckt nach unten baumeln. Anschliessend schwingen Sie die Arme in den Schultern von vorne nach hinten. Dabei gehen Sie bei jedem Schwung leicht und entspannt in die Knie – wenn möglich, mindestens zwanzigmal. Das schmiert die Gelenke und aktiviert den Stoffwechsel.
Hauptziel aller (Präventiv-)Massnahmen ist die langfristige Kräftigung der wirbelsäulenstabilisierenden Muskulatur. Dabei helfen auch Physio- und Bewegungstherapie: Spezielle Rückenübungen fördern die Beweglichkeit und Koordination des Patienten und verhindern, dass die Schmerzen chronisch werden.
Um die Beschwerden zu verringern, versuchen viele Betroffene übrigens, ihren Rücken weniger zu belasten – und bewirken exakt das Gegenteil. Durch die Schonhaltung und die damit verbundene einseitige Belastung verspannen sich die Muskelgruppen. Die fatale Folge: Die Muskulatur wird schwächer und die Schmerzen nehmen noch zu. Empfehlenswert ist es deshalb, jede Schonhaltung zu vermeiden und durch gezielte Gymnastik und ausreichende Bewegung den Verspannungen entgegenzuwirken.
Privatdozent Dr. David Kubosch ist leitender Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie der Gelenk-Klinik Gundelfingen. Der von der Deutschen Wirbelsäulen Gesellschaft zertifizierte Wirbelsäulenchirurg ist zudem Dozent an der Uniklinik Freiburg. Dort betreut er auch mehrere Forschungsprojekte. Seine Behandlungsschwerpunkte sind Wirbelsäulenchirurgie, Bandscheibenoperationen und -prothesen.