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Gleichberechtigung

Darum ist Verhütung auch Männersache

Die Verantwortung in Sachen Verhütung liegt in vielen Beziehungen noch immer bei Frauen. Autorin Franka Frei hat ein Buch zum Thema Gleichberechtigung bei der Verhütung geschrieben und erklärt im Interview, warum Verhütung auch Männersache ist.

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In vielen heterosexuellen Beziehung liegt die Last der Verhütung auf den Schultern von Frauen.

Getty Images/Tetra images RF

Beim Thema Verhütung scheint die Verantwortung immer noch ziemlich einseitig auf den Schultern der Frauen zu liegen. Immerhin haben Männer neben dem Kondom noch immer keine massentaugliche Option, um zu verhüten. Oder doch? Die Journalistin, Autorin und Menstruationsaktivistin Franka Frei ist dem Thema gleichberechtigte Verhütung für ihr neues Buch «Überfällig: Warum Verhütung auch Männersache ist» (Erscheinung: 20. April, Goldmann Verlag) auf die Spur gegangen. Im Interview erklärt sie, warum Verhütung nicht nur «Frauensache» ist und wie sich Männer aktiv daran beteiligen können.

Bei ihrer Erfindung galt die Pille als ultimative Befreiung der Frau, laut Statistiken verhüten seit einigen Jahren immer weniger Frauen damit. Was macht die Pille inzwischen so unbeliebt?

Franke Frei: Wir sind kritischer geworden, was unsere Konsumentscheidungen anbelangt. Das ist gut und wichtig. Doch die Pille ist per se nicht schlecht. Für viele funktioniert sie gut. Es geht auch nicht darum, ein Mittel zur Verhütung zu verteufeln oder gar zu verbieten (das wäre ein Schnitt ins eigene Fleisch), sondern die Palette an Möglichkeiten zur Verhütung zu erweitern.

In Sachen Verhütung sind wir gesellschaftlich und technologisch quasi in den 60ern stecken geblieben und da wird sich nichts ändern, wenn wir nicht aktiv Reformen fordern. Die Pille wird oft als alternativlos dargestellt, dabei könnte es längst viel mehr Mittel geben, die weniger Nebenwirkungen haben und auch besser für die Umwelt wären. Es ist kaum bekannt, dass die Pille mit ihrer hohen Hormondosis zum Artensterben beiträgt: In Kanada ist Forschenden zufolge bereits eine ganze Fischspezies ausgestorben, weil es durch den hohen Östrogenspiegel in den Flüssen kaum noch männliche Fische gibt. Gerade bei Männern liesse sich auch viel nicht-medikamentös und nicht-hormonell regeln.

Letztendlich ist die Entscheidung, ob und wie verhütet wird, sehr individuell. Das Ziel ist die Möglichkeit für alle Menschen, eine vollständig informierte, selbstbestimmte Entscheidung zu treffen. Will ich Kinder oder nicht?

Welche Alternativen gibt es für Frauen?

Frei: Aus mehr als 100 zugelassenen Pillensorten mit unterschiedlicher Hormonzusammensetzung, anderen hormonellen Methoden (Ring, Pflaster, Stäbchen, Spritze, Spirale) und nicht-hormonellen Methoden (z.B. Kupferkette, -spirale, -ball) sowie Methoden, die keinen Eingriff in den Körper bedeuten (z.B. NFP und das Nutzen von Kondomen, Femidomen, Portiokappen, Spermiziden oder auch Zykluscomputern etc.) muss jeder Mensch und jedes Paar eine ganz individuelle Entscheidung treffen.

Verhütung ist aber nicht nur «Frauensache», sondern geteilte Verantwortung. Warum sind abgesehen vom Kondom alle reversiblen Verhütungsmittel auf den Körper mit Uterus zugeschnitten?

Frauen können schwanger werden, Männer nicht. Weshalb sollten Frauen in Verhütungsfragen auf Männer bauen?

Frei: Verhütung ist weder Frauen- noch Männerverantwortung, sondern gemeinsame Sache. Zum Kinderkriegen gehören immer noch mindestens zwei. Verhütung ist eine grossartige Erfindung, aber sie ist nicht umsonst. Frauen zahlen mit Gesundheit, Zeit und Geld. Verhütung ist Arbeit und auch Männer können sich daran gewöhnen, sie zu verrichten – ähnlich wie auch in Bezug auf andere reproduktive Tätigkeiten, z.B. im Haushalt und in der Pflege und Erziehung von Kindern.

Oft heisst es, Frauen würden Männern in Sachen Verhütung nicht vertrauen und Männer seien ohnehin nicht verlässlich genug. Mal abgesehen davon, dass Umfragen anderes nahelegen – einer Befragung aus den Niederlanden zufolge würden sich 90 Prozent der Frauen auf ihren Partner in Sachen Verhütung verlassen – wie soll sich dieser Umstand ändern, wenn Menschen nicht mal die Chance dazu gegeben wird, das Gegenteil zu beweisen?

Jede Beziehung ist anders und natürlich sollte niemand dazu gezwungen werden, sich auf den Partner oder die Partnerin allein in Sachen Verhütung verlassen zu müssen. Das gilt für Männer wie für Frauen, weshalb das Fehlen einer Art Pille für den Mann streng genommen eine Verletzung der reproduktiven Rechte ist. Doch viele Paare könnten sich vorstellen, die Verhütungsarbeit gerechter zu verteilen.

Studien und Umfragen zeigen, dass sich besonders in der jungen Generation Männer mehr Verhütungsoptionen wünschen: 80 Prozent der Männer in den USA, die zwischen 1997 und 2005 auf die Welt gekommen sind, würden gerne selbstständig verhüten. Und natürlich hätten auch Männer einen Vorteil davon, mehr Verantwortung und Kontrolle über ihre Zeugungsfähigkeit zu erlangen.

Dass Frauen quasi keine Alternative gegeben wird, als die komplette körperliche, seelische, zeitliche und oft auch finanzielle Verantwortung für Verhütung zu übernehmen, während Männern entsprechende Möglichkeiten komplett vorenthalten werden, ist einfach nicht zeitgemäss. Wir alle sollten die Wahl haben.

Schon seit Jahrzehnten ist von der «Pille für den Mann» die Rede. Warum gibt es sie immer noch nicht?

Frei: Schon Anfang der 50er – bereits vor der Entwicklung der ersten Antibabypille – gab es klinische Studien und Versuche an einer Verhütungsmethode für den Mann. Die erste Pille überhaupt war eigentlich auch gar nicht für Frauen gedacht, sondern für Männer! Doch die Studien wurden abgebrochen, nachdem sich herausstellte, dass sich das Mittel nicht mit Alkohol vertrug.

Dass Verhütung bei spermienproduzierenden Menschen sowohl hormonell als auch nicht-hormonell aber quasi genauso gut funktionieren kann wie bei Menschen mit Eizellen, ist keine Neuerkenntnis. Heute gibt es unzählige Studien mit möglichen Mitteln für eine längerfristige, reversible Verhütungsmethode «für den Mann». Der Wissenschaft sind mehr als 150 Ansätze bekannt! Doch seit dem Conterganskandal haben sich die Zulassungskriterien für Medikamente enorm verschärft. Die erste Antibabypille von damals würde heute gar nicht mehr zugelassen werden.

Auch Geschlechterrollenklischees und verrostete Vorstellungen von Männlichkeit verhindern Innovationen. Studien wurden immer wieder aufgrund von Nebenwirkungen abgebrochen, die für hunderte Millionen von Frauen gang und gebe sind. Schuld daran sind jedoch nicht die oft als «weinerlich» dargestellten Studienprobanden. Nebenwirkungen von Kontrazeptionsmitteln werden bei Männern in der Medizin anders bewertet, weil es heisst, dass sie am eigenen Leib keine Schwangerschaft samt all den gesundheitlichen Risiken befürchten müssen.

Schon seit mehr als 40 Jahren heisst es, wir stünden mit einer Art Pille für den Mann kurz vor dem Durchbruch. Tatsächlich droht die Forschung daran aber seit dem Abbruch der letzten gross angelegten Studie vor zwölf Jahren zunehmend zum Erliegen zu kommen – auch wenn der alle paar Jahre aufkommende Medienhype um eine Art Pille für den Mann einen anderen Eindruck vermitteln mag. Die Pharmaindustrie ist nicht involviert und ich kenne kein Medikament, das es ohne ihre Unterstützung auf den Markt geschafft hat.

Welche Möglichkeiten sieht die Wissenschaft für Verhütungsmethoden für Männer?

Frei: Sowohl hormonelle Methoden als auch eine Reihe von nicht-hormonellen Methoden haben bereits ihre Wirksamkeit bewiesen. Das Problem ist, dass die meisten dieser Versuche erst an Tieren durchgeführt wurden. Doch nur weil etwas an Mäusen funktioniert, können wir noch lange nicht denselben Effekt bei Menschen erwarten und ein Mittel auf den Markt werfen. Klinische Versuche sind sehr teuer und risikoreich, aber vor allem in Bezug auf hormonelle Methoden gibt es viel Forschung und Wissen, auf das aufgebaut werden kann.

Ganz vorne im Rennen, das erste Verhütungsmittel für den Mann zu werden, ist daher ein Hormongel aus zwei verschiedenen Wirkstoffen (Testosteron und Progesteron), das einmal täglich auf die Schultern aufgetragen wird. Der wohl grösste Hoffnungsträger auf eine baldige nicht-hormonelle Verhütungsmethode für den Mann ist eine bereits seit Jahrzehnten in den USA und Indien an Männern erforschte Methode, den Samenleiter mittels eines wasserlöslichen Gels vorübergehend zu blockieren.

Ausserdem werden schon seit Jahrzehnten Wärmemethoden angewendet. Bereits in der Antike war bekannt, dass Wärme die Spermienproduktion einschränkt. In Frankreich verhüten aktuell bereits tausende Männer mit einem hormonfreien Silikonring, der allein durch Körperwärme funktioniert. Man kann den AndroSwitch im Internet kaufen – damit ist der Ring die einzige Methode für Männer abgesehen vom Kondom selbst zu verhüten, die bereits existiert – und zwar nicht nur in der Forschung. Lange Zeit wurde dieser Ansatz von der Wissenschaft ignoriert, doch unlängst wurden Forschungsgelder bereitgestellt, auch weil die Methode nicht hormonell und sehr umweltschonend ist.

Was schätzen Sie: Wie lange wird es noch dauern, bis ein Verhütungsmittel für Männer zur Norm wird?

Frei: Das kann niemand mit Sicherheit sagen. Letztendlich kann etwas erst «normal» werden, wenn wir es zur Normalität machen. Dafür braucht es nicht nur gesellschaftliche Bereitschaft, sondern auch ein offiziell zugelassenes Mittel.

In der Kontrazeptionstechnologie ist es bereits ein Running Gag geworden, dass die Pille für den Mann in fünf Jahren kommen wird. Manche Forschende, mit denen ich mich für mein Buch unterhalten habe, sagen, dass dieses ewige in drei bis zehn Jahren ist es so weit auch schlichtweg ein «nie» bedeuten könnte. Andere sind optimistischer. Klar ist: Innovationen in diesem Bereich kommen nicht von allein. Es liegt an uns allen, sie lautstark zu fordern.

Wie können Männer jetzt schon aktiv an der Verhütung teilnehmen?

Frei: Da gibt es schon ein paar Möglichkeiten, nicht nur finanziell. Es ist wichtig, dass auch Männer sich mit dem Thema auseinandersetzen und ihre kontrazeptiven Privilegien reflektieren. Dass Männer meist nicht in die Verantwortung gezogen werden zu verhüten, liegt weniger an biologischen Tatsachen oder medizinischen Unmöglichkeiten als an einem patriarchalen Geschlechterkonstrukt, in dem Frauen traditionell für alles, was mit Kinderkriegen zu tun hat, allein verantwortlich gemacht werden.

Heterosexuell aktive cis Männer (Männer, denen bei der Geburt das männliche Geschlecht zugewiesen wurde und die sich damit identifizieren) können und sollten sich fragen, was sie entsprechend ihres Beziehungsstatus tun können, um die Partnerin bei der Verhütung zu unterstützen und zu entlasten. Meiner Meinung nach ist es nicht zu viel verlangt, für ausreichend Kondome in der richtigen Grösse zu sorgen. Rund 80 Prozent der Männer kaufen die falsche Kondomgrösse und das ist die Hauptursache dafür, dass Kondome relativ unsicher sind und die meisten Frauen zusätzlich mit der Pille verhüten.

Ausserdem kann auch der Silikonring für viele gut funktionieren. So oder so gilt: Nur wer Wissen über den eigenen Körper hat, kann selbstbestimmte Entscheidungen darüber treffen und Verantwortung für sich selbst und andere übernehmen. So ähnlich wie Menschen mit Vulva zum Handspiegel oder zum Basalthermometer greifen dürfen, um sich mit ihren Geschlechtsteilen auseinanderzusetzen, sei daher auch Menschen mit Penis ans Herz gelegt, sich mit ihren Spermien zu beschäftigen und es sich mit verschiedenen Kondomgrössen unter der Dusche oder einer Packung Taschentücher an einem warmen Ort gemütlich zu machen – fernab von irgendwelchen Männlichkeitsklischees. Nothing is sexier than caring!

Von spot am 26. April 2023 - 09:01 Uhr