Das Vorbild unseres Hausarztes, der im Krankheitsfall unabhängig von der Tageszeit zu uns nach Hause kam, hat mich bereits sehr früh beeindruckt und zugleich auch darin bestärkt, selber Arzt zu werden. Nach einer Untersuchung am Krankenbett sass er meistens noch einige Augenblicke mit uns in der Küche und strahlte für die Familie durch seine Anwesenheit und Empathie Zuversicht aus. Wie weit liegen diese Zeiten zurück!Vor einigen Jahren teilten mir Mitarbeitende eines Beratungsunternehmens, das im Auftrag der Spitalleitung die Abläufe in meiner Klinik kritisch überprüfte, mit, ich müsse «das System entfetten». Was damit gemeint war, erfuhr ich bei der Schlussbesprechung: Gespräche mit meinen Patientinnen und Patienten müssten auf das Minimum reduziert werden, da sie aus finanzieller Sicht einem Leerlauf entsprechen würden.
Umso mehr geniesse ich heute meine Tätigkeit als «freischaffender» Herzchirurg, nicht zuletzt, weil ich überdurchschnittlich viel Zeit für die Aufklärung meiner Patienten vor grossen Herzoperationen aufwenden darf. Es mag wohl kaum Zufall sein, dass ich jede Woche einige Patientinnen und Patienten empfangen oder beraten darf, die sich wegen ungenügender oder sogar komplett fehlender Kommunikation im Stich gelassen fühlen.Mit der Empfehlung zur «Entfettung des Systems» war nicht etwa eine allenfalls anzustrebende Gewichtsreduktion des zu operierenden Patienten gemeint, sondern ein teuer erkaufter Unsinn.Gerade auch um diesen Unsinn zu bekämpfen, fuhr ich letzte Woche tief ins Emmental auf einen abgelegenen Hof, um eine ältere Patientin über den bevorstehenden Herzeingriff aufzuklären und ihr auch damit allenfalls einen nicht zwingend notwendigen Gang ins Spital zu ersparen. Es war gut spürbar, dass sie über unser Treffen sehr glücklich war.
«Immer häufiger fehlt die Zeit für ein sinnhaftes Gespräch»
Zur gleichen Zeit bemühten sich wohl in den meisten Spitälern viele Tarif- und Kodierungsspezialisten, erbrachte Leistungen finanziell zu optimieren, um Geld zu generieren und damit die Rendite zu erhöhen. Was sollen unsere Patientinnen und Patienten über das zwar gut klingende, aber abstruse Motto «Bei uns steht der Patient im Zentrum» denken? Dabei fehlt doch immer häufiger die Zeit für ein sinnhaftes Gespräch oder für eine komplexe Aufklärung. Jede und jeder von ihnen, der dieses Gespräch vermisst, fühlt sich im Stich gelassen.Nach dem Besuch auf dem Bauernhof fuhr ich mit meinem Velo durch die schöne Landschaft zurück, trug damit etwas Positives zu meiner Gesundheit bei und konnte noch über das Gespräch nachdenken. Auch überwältigte mich das Gefühl, zwar etwas Unkonventionelles, dafür aber umso Sinnvolleres und Erfreulicheres gemacht zu haben.